08. Mai 2020, Thema: Aquatische Ökotoxikologie Sedimentökotoxikologie Bodenökotoxikologie Risikobewertung
Fungizide Azole machen Sorgen
Die Wirkstoffe werden in der Schweiz in den meisten Proben aus Wasser, Sediment, Boden und Organismen nachgewiesen. Ein Mangel an Toxizitätsdaten für viele Azole macht es jedoch schwierig, das von ihnen ausgehende Risiko zu bewerten.
Azole sind die am häufigsten verwendeten Fungizide. Sie werden in der Landwirtschaft regelmässig eingesetzt, um den Pilzbefall von verschiedenen Nahrungsmitteln zu verhindern: So finden sie im Getreide- sowie im Obst- und Weinbau ihre Anwendung gegen Mehltau oder Schorf. Die Stoffe werden ausserdem als Arzneimittel für die Behandlung von Pilzinfektionen verabreicht. Doch leider hemmen sie nicht nur den Aufbau der Pilz-Zellmembran, sondern können auch andere Organismen beeinträchtigen, indem sie zum Beilspiel ihr Hormonsystem beeinflussen.
Azole in Wasser, Sediment, Böden und Organismen
Noch gibt es wenige Daten zum Umweltvorkommen der Stoffe. Jetzt haben Wissenschaftler insgesamt 61 fungizide Azole in zahlreichen Schweizer Umweltproben analysiert. Dabei betrachteten sie alle Umweltkompartimente: Wasser, Sediment, Böden und Organismen. Speziell ist, dass die Forschenden nicht nur die eigentlichen Extrakte der Proben analysierten, sondern auch massenspektroskopische Daten, die bereits digital gespeichert worden waren. Durch das Verwenden von bereits archivierten Daten konnten sie auf eine grosse Probenanzahl zurückgreifen: Insgesamt 430 Proben aus Oberflächenwasser, Abwasser, Sediment, Boden, Grundwasser, Biofilmen, Bachflohkrebsen und Fischen von insgesamt 95 verschiedenen Standorten im Mittelland. Die Analyse wurde von Wissenschaftlern der Eawag zusammen mit dem Oekotoxzentrum und der Universität Bern durchgeführt.
Fungizide Azole wurden in den meisten Proben aus Abwasser, Oberflächenwasser und Sediment nachgewiesen, zu einem geringeren Mass auch in Grundwasser, Böden und Organismen. So wurde zum Beispiel das Pestizid Tebuconazol in 60% der Sedimente und 89% der Oberflächengewässerproben nachgewiesen, das Arzneimittel Climbazol in 57% der Sedimente und 75% der Oberflächengewässerproben. Dabei waren die Konzentrationen in Sedimenten und Böden höher als in Oberflächengewässern, was zum Teil durch die hohe Hydrophobizität der Stoffe verursacht wird. Die Ergebnisse zeigen auch, dass die retrospektive Analyse von massenspektroskopischen Daten die Bewertung der Exposition für neu auftretende Schadstoffe verbessern kann.
Mehr Daten zur Ökotoxizität gebraucht
Die weite Verbreitung der Stoffe und ihre bekannte Hormonwirkung liess bei den Wissenschaftlern die Alarmglocken klingeln und sie versuchten, ihr Risiko zu bewerten. Weil so viele verschiedene Stoffe vorhanden waren, berechneten die Wissenschaftler das Mischungsrisiko für die gesamte Stoffgruppe. Die Wasserorganismen schienen auf der sicheren Seite zu sein: Nur für 1% der Proben bestand für sie ein Risiko. Für 14% der Proben fanden die Forschenden ein Risiko für den Menschen über die Trinkwassergewinnung. „Die Risikobewertung bleibt aber unvollständig, da es für zahlreiche Stoffe nicht genügend Daten zur Ökotoxizität gibt“, räumt Carmen Casado-Martinez ein. Die Azole, die als Arzneimittel verwendet werden, konnten deswegen überhaupt nicht berücksichtigt werden.
„Es ist dringend nötig, mehr Toxizitätsdaten für Azole zu messen“, betont Carmen Casado-Martinez, die Daten zur Toxizität für Zuckmückenlarven und Flohkrebse erhoben hat. Besonders Daten für Amphibien seien wichtig, da diese als besonders empfindlich gelten. „Wir haben Umweltqualitätskriterien für Tebuconazol für Wasser und Sediment erarbeitet“, sagt Carmen Casado-Martinez. „Wir empfehlen auch, Tebuconazol routinemässig in Sedimenten zu messen“. Der Stoff ist im Beurteilungskonzept für das Monitoring der Sedimentqualität enthalten, den das Oektoxzentrum für die Schweizer Kantone erarbeitet hat. Die Bedeutung der fungiziden Azole wurde inzwischen auch auf EU-Ebene erkannt: So wird momentan diskutiert, sie in die Watch List der kritischen Stoffe im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie aufzunehmen, die regelmässig überwacht werden müssen.
Publikation
Creusot, N., Casado-Martinez, C., Chiaia-Hernandez, A., Kiefer, K., Ferrari, B.J.D., Fu, Q., Munz, N., Stamm, C., Tlili, A., Hollender, J. (2020). Retrospective screening of high-resolution mass spectrometry archived digital samples can improve environmental risk assessment of emerging contaminants: a case study on antifungal azoles. Environment International, 139, 105708 https://doi.org/10.1016/j.envint.2020.105708