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Sedimentqualität in Schweizer Bächen – Anwendung der neuen Bewertungsstrategie

20. November 2024, Thema: Aquatische Ökotoxikologie Sedimentökotoxikologie Risikobewertung

Sedimentqualität in Schweizer Bächen – Anwendung der neuen Bewertungsstrategie

Das Oekotoxzentrum hat die Sedimentqualität in 18 Bächen der Schweiz anhand von 20 priorisierten Schadstoffen bewertet. In jedem Bach trat mindestens ein Stoff in Konzentrationen oberhalb der Sediment-Qualitätskriterien auf. Die neue Bewertungsstrategie wurde dabei zum ersten Mal in grösserem Umfang angewendet.

Die Sedimente am Gewässergrund dienen nicht nur als Lebensraum für zahlreiche Organismen, sondern binden auch Schadstoffe, die von dort aus die Organismen direkt oder indirekt schädigen können. Diese Schadstoffe können aber auch wieder freigesetzt werden, wenn Sedimente durch Hochwasser oder Baggerarbeiten mobilisiert werden. Um die Gewässerqualität umfassend zu bewerten, sollte daher immer auch die Qualität der Sedimente berücksichtigt werden.

Für die Qualitätsbewertung der Schweizer Sedimente hat das Oekotoxzentrum eine Strategie entwickelt, die 2022 als Expertenbericht in die Methodensammlung des Modul-Stufen-Konzepts aufgenommen wurde. Kürzlich haben die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Ergebnisse zur Validierung der Methode publiziert, die sie 2018 in 18 kleinen Fliessgewässern der Schweiz anwendeten.

Unterschiedlich geprägte Standorte

Zunächst hatten die Forschenden insgesamt 20 Schadstoffe oder Schadstoffgruppen priorisiert, die bei einer Untersuchung analysiert werden sollten. «Bei der Auswahl haben wir das Vorkommen der Stoffe berücksichtigt, ihre Gefährlichkeit und das Risiko, das von ihnen ausgeht», erklärt Projektleiterin Carmen Casado-Martinez. Auf der Liste sind zum einen schon lange überwachte Stoffe wie Metalle, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) und polychlorierte Biphenyle (PCB), aber auch andere Schadstoffe wie polybromierte Diphenylether (PBDE), Phthalate, Pestizide, Hormone oder per- und polyfluoroalkylierte Stoffe (PFAS) (siehe Tabelle). «Bei diesen Stoffen wissen wir oft noch nicht, in welchen Konzentrationen sie in unseren Sedimenten vorkommen», erklärt Carmen Casado-Martinez. «Daher braucht es hier Kampagnen, um eine Übersicht über die Belastung zu erhalten».

Bewertung der Sedimentqualität in 18 Schweizer Bächen. Der Einfluss von Siedlungsflächen nimmt von links nach rechts zu. Die Farbcodes entsprechen dem Ausmass der Überschreitung der SQK und damit der Sedimentqualität. Blau: sehr gut (RQ = gemessene Konzentration/SQK < 0.1), grün: gut (0.1 ≤ RQ < 1), gelb: mässig (1 ≤ RQ < 2), orange: unbefriedigend (2 ≤ RQ < 10), rot: schlecht (RQ ≥ 10); blassere Farben: vorläufige SQK, grau: Qualität nicht bewertbar; weiss: Stoff nicht analysiert. s.p.: SQK zum Schutz von Räubern vor Sekundärvergiftungen.
(zum Vergrössern bitte auf die Tabelle klicken)

 

Die Forschenden haben die Sedimente in 18 Bächen untersucht, die alle aus der NAWA SPEZ Kampagne von 2018 zur Analyse des ökologischen Zustands der Schweizer Bäche stammen und unterschiedliche menschliche Einflüsse abdecken: Die Einzugsgebiete werden an zwei Standorten wenig genutzt (>90 % Wald), an fünf Standorten für die Landwirtschaft und an elf Standorten sowohl für die Landwirtschaft als auch für Siedlungen. In keinem der untersuchten Einzugsgebiete liegen Kläranlagen.

Mindestens eine Substanz pro Standort überschreitet Qualitätskriterium

Insgesamt war die Sedimentqualität der Bäche in den weniger intensiv genutzten Einzugsgebieten deutlich besser als in den für die Landwirtschaft und für Siedlungen genutzten Gebieten. «Wir haben an den einzelnen Standorten unterschiedlich viele Schadstoffe gefunden», erläutert Carmen Casado-Martinez. «Aber alle Standorte hatten eines gemeinsam: Mindestens einer der untersuchten Schadstoffe überschritt jeweils sein Sediment-Qualitätskriterium.»

Die Forschenden hatten im Rahmen der Bewertungsstrategie für alle Stoffe sedimentspezifische Qualitätskriterien (SQK) auf der Grundlage von Toxizitätsdaten erarbeitet. Diese SQK geben die Konzentration an, ab der schädliche Auswirkungen der Stoffe nicht mehr ausgeschlossen werden können. Überschreitet die Konzentration für einen Stoff in der chemischen Analyse sein SQK, so besteht also ein Risiko für die Organismen. Weil es für einen Teil der Stoffe zu wenig Daten zur Sedimenttoxizität gibt, gelten die SQK für diese als vorläufig, da die Risikobewertung hier mit einer grösseren Unsicherheit verbunden ist.

Häufige Überschreitungen bei PCB und Hormonen, Metallen und PAK

Am häufigsten wurden die SQK bei den PCB und den östrogenen Hormonen überschritten. Nicht weniger als 65% der Standorte überschritten das SQK für mindestens eines der Indikator-PCB. PCB sind zusammen mit Metallen und PAK die Stoffe, die in Schweizer Sedimenten am häufigsten überwacht werden. Für Hormone im Sediment gibt es immer noch zu wenig Messdaten. Die beiden natürlichen Östrogene Estron (E1) und Estradiol (E2) wurden an 18 bzw. 8 Standorten nachgewiesen, das synthetische und besonders potente Östrogen 17α-Ethinylestradiol (EE2) nie. Da die SQK für die drei Östrogene unterhalb der Bestimmungsgrenze liegen, heisst dies, dass die SQK bei jedem Nachweis bereits überschritten werden. „Die SQK für diese beiden Substanzgruppen sind jedoch nur vorläufig und müssen überarbeitet werden, sobald mehr Daten vorliegen“, räumt Carmen Casado-Martinez ein.

Von den Stoffen mit endgültigen SQK waren die Metalle Kupfer und Zink sowie die PAK am problematischsten: Für Zink und Kupfer wurden je an fünf Standorten höhere Konzentrationen als das SQK gemessen. Dagegen überschritten Quecksilber und Blei, deren Verwendung seit Jahren eingeschränkt ist, nie ihr SQK. Die SQK für die PAK wurden an rund 35 % der Standorte überschritten.

Phthalate sind in kleinen Bächen weit verbreitet

Phthalate, die Kunststoffen als Weichmacher zugegeben werden und daher in vielen Alltagsprodukten enthalten sind, wurden in allen Untersuchungsgebieten nachgewiesen. Als Indikator für die Belastung mit Phthalaten wird in der Bewertungsstrategie DEHP vorgeschlagen, da dieser Stoff jeweils am häufigsten auftritt. Phthalate sind jedoch nicht besonders toxisch für Sedimenttiere, so dass das SQK an keinem Standort überschritten wurde. Andere Phthalate, die als Alternativen zu DEHP verwendet werden, lagen in ähnlichen Konzentrationen wie DEHP vor. Bei der Risikobewertung sollten die Phthalate daher als Gruppe berücksichtigt werden, um nicht kumulierte Risiken zu verpassen.

Zu Antibiotika in Schweizer Sedimenten gibt es bis jetzt kaum Daten. Daher wurden hier mehrere Antibiotika analysiert, darunter auch Ciprofloxacin, das an 10 Standorten nachgewiesen wurde. Trotz der relativ hohen Konzentrationen an drei Standorten wurde das vorläufige SQK, das auch die Antibiotikaresistenz in Gewässern berücksichtigt, nirgends überschritten.

PFAS sind eine sehr grosse Gruppe von Stoffen mit zahlreichen Anwendungen in Industrie und Haushalt. Unter anderem sind Standorte in der Nähe von Flughäfen und Feuerlöschübungsplätzen besonders stark mit PFAS belastet. Hier fanden die Forschenden in den Sedimenten im Siedlungsgebiet besonders viele PFAS. Allerdings wurde an keinem der Standorte das SQK für PFOS überschritten, das als Indikator für eine PFAS-Belastung vorgeschlagen wird. Es scheint also keine spezifischen Hotspots für PFAS in der Nähe der untersuchten Standorte zu geben, und diffuse Quellen scheinen die Hauptquelle für die Stoffe zu sein. Auch hier sollte die gesamte Stoffgruppe berücksichtigt werden, da die Stoffe nicht isoliert vorkommen.

Immer noch hohe Belastung durch Chlorpyrifos

Das Herbizid Diuron, die Insektizide Chlorpyrifos und Cypermethrin sowie das Fungizid Tebuconazol wurden als Indikatoren für eine Belastung mit Pestiziden analysiert. Die Konzentration von Cypermethrin lag an allen Standorten unter der Bestimmungsgrenze. Weil die Bestimmungsgrenze jedoch oberhalb des SQK liegt, war es leider nicht möglich, das Risiko für diesen Stoff zu bewerten. Da Cypermethrin für Sedimentorganismen sehr giftig ist, sollte das Risiko neu bewertet werden, sobald empfindlichere Nachweismethoden verfügbar sind.

Diuron und Tebuconazol wurden nur an einem Standort, dem Canal d'Uvrier, nachgewiesen und überschritten dort ihr SQK. Chlorpyrifos wurde an sechs der 18 Standorte nachgewiesen – an vier Standorten davon in derart hohen Konzentrationen, dass sie in Laborexperimenten zum Tod von Sedimenttieren führen. Da Chlorpyrifos und Diuron inzwischen als Anwendung in Pflanzenschutzmitteln verboten wurden, ist es möglich, dass ihr Vorkommen bereits zurückgegangen ist. «Aufgrund ihrer physikalisch-chemischen Eigenschaften könnte es aber sein, dass die Stoffe im Sediment bleiben», sagt Carmen Casado-Martinez. «Daher sollten sie auch weiterhin überwacht werden bis zum Erreichen von Konzentrationen, die kein Risiko mehr darstellen.»

Gesamtsediment oder Feinfraktion?

«Wir haben in unseren Untersuchungen die Stoffe nicht nur im Gesamtsediment (< 2 mm) nachgewiesen, das sich für den Vergleich mit dem SQK eignet, sondern auch in der Feinfraktion (< 63 µm)», erläutert Carmen Casado-Martinez. «Diese Fraktion untersuchen viele kantonalen Ämter nämlich bisher in ihren Monitoringkampagnen.» In den meisten Fällen wiesen die Forschenden in der Feinfraktion mehr Stoffe in höheren Konzentrationen nach als im Gesamtsediment. Daher ist die Feinfraktion möglicherweise besser geeignet, um analytisch schwierige Stoffe wie Pflanzenschutzmittel zu erfassen. Ein Extrapolieren der Konzentrationen von der Feinfraktion zum Gesamtsediment sei jedoch nach wie vor nicht einfach, da dies zu einer Über- oder Unterschätzung der Konzentrationen und damit zu falschen Ergebnissen bei der Risikobewertung führen kann.

Ausblick für die Sedimentbewertung

«Unsere Untersuchungen haben bestätigt, dass die Stoffe, die wir für die Überwachung der Schweizer Sedimente vorgeschlagen, wirklich relevant sind», sagt Carmen Casado-Martinez. Die einzige Ausnahme sei HCBD, das wohl in der Schweiz nicht prioritär ist. Die Stoffliste müsse aber regelmässig überprüft und aktualisiert werden. Nur so können neue Daten aus den Monitoringkampagnen und der Regulierung von Chemikalien zu berücksichtigt werden.

«Man darf aber nicht vergessen, dass wir die SQK nur als Screening-Methode vorschlagen», fügt die Wissenschaftlerin an. «Als Ergänzung sollten immer effektbasierte Methoden wie Biotests, Bioakkumulationsstudien oder die Untersuchung von Lebensgemeinschaften im Sediment verwendet werden, um die Standorte weiter zu beschrieben. Wir sind momentan daran, auch für diese Untersuchungen eine Methode zu erarbeiten».

 

Publikation

Casado-Martinez, M. C., Wildi, M., Ferrari, B. J. D., Werner, I., Vaccher, V., Venisseau, A., … Daouk, S. (2024). Évaluation de la qualité des sédiments. Application de la stratégie développée pour la Suisse dans 18 petits cours d'eau. Aqua & Gas, 104(7+8), 70-79. , Institutional Repository

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