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Auch Biotope nationaler Bedeutung sind mit Pflanzenschutzmitteln belastet

23. November 2023, Thema: Aquatische Ökotoxikologie Bodenökotoxikologie Sedimentökotoxikologie Risikobewertung

Auch Biotope nationaler Bedeutung sind mit Pflanzenschutzmitteln belastet

Die Untersuchung von neun Amphibienlaichgebieten und drei Flachmooren hat gezeigt, dass auch diese Biotope nationaler Bedeutung mit zahlreichen Pflanzenschutzmitteln belastet sind. Besonders Insektizide aus der Gruppe der Pyrethroide überschritten die gesetzlichen Grenzwerte und die chronischen Qualitätskriterien teils um ein Vielfaches.

Sie bergen unser Naturerbe: Mehr als 6000 Moore, Auen, Amphibienlaichgebiete und Trockenwiesen der Schweiz wurden ins Inventar der Biotope nationaler Bedeutung aufgenommen und stehen unter strengem Schutz. Für viele bedrohte Arten sind sie die letzten Rückzugsgebiete und unverzichtbare Reservoirs. So sichern sie die Biodiversität und sollten daher vor den schädlichen Auswirkungen durch Pflanzenschutzmittel (PSM) geschützt werden, die in vielen Bächen und Flüssen zum Lebensalltag gehören.

Naturnahe Biotope sollen geschützt werden

Dies ist auch eines der Ziele des Nationalen Aktionsplans zur Risikoreduktion und nachhaltigen Nutzung von PSM, den der Bundesrat 2017 verabschiedet hat. Um das Risiko durch PSM zu bewerten, Massnahmen zur Risikominderung zu planen und deren Erfolg zu prüfen, braucht es Daten zur Umweltbelastung. Doch zum Vorkommen von PSM in Biotopen nationaler Bedeutung ist bis jetzt wenig bekannt. Daher hat sich das Oekotoxzentrum in einem Projekt engagiert, um hier mehr zu erfahren: Finanziert wurde dieses vom Bundesamt für Umwelt, Projektpartner für die Planung und Durchführung waren unter anderem die Umweltberatungsfirma Hintermann und Weber und das Interkantonale Labor Schaffhausen.

Als erster Schritt wurden in den Jahren 2020 und 2021 in einer Pilotstudie neun Amphibienlaichgebiete und drei Flachmoore in den Kantonen Zürich, Basel-Land, Thurgau, Aargau und St. Gallen untersucht (siehe Abbildung): Diese Gebiete befinden sich in Einzugsgebieten mit landwirtschaftlicher Nutzung und decken in gleicher Anzahl Standorte mit geringem, mittlerem und hohem Risiko ab. Die Risikoklassen wurden auf Basis mehrerer Risikofaktoren für den potentiellen Eintrag von PSM wie zum Beispiel die Nähe zu landwirtschaftlich genutzten Flächen bestimmt. An den ausgewählten Standorten wurden einmal monatlich Schöpfproben genommen und chemisch auf insgesamt 96 PSM analysiert.

Übersicht der 2020 und 2021 beprobten Biotope (Kreis = Amphibienlaichgebiet; Quadrat = Flachmoor). Die Zahl gibt die Anzahl der PSM an, deren gemessene Konzentrationen ihr chronisches Umweltqualitätskriterium (UQK) überschritten, dies sind sowohl UQK aus der Gewässerschutzverordnung als auch vom Oekotoxzentrum vorgeschlagene UQK und ad-hoc-Werte.

Grenzwerte der Gewässerschutzverordnung häufig überschritten

«PSM wurden in allen untersuchten Stillgewässern gefunden, je nach Standort zwischen vier und 29 PSM», sagt Projektleiter Etienne Vermeirssen, «Und in der Hälfte der Biotope wurden die Grenzwerte der Gewässerschutzverordnung bis zu 25-fach überschritten.» Am häufigsten – in fünf der zwölf Biotope - wurde der Grenzwert vom Insektizid Cypermethrin überschritten: Dieser hochgiftige Wirkstoff gehört zur Gruppe der Pyrethroide und wird etwa gegen Schädlinge im Kartoffel-, Rüben-, Raps-, Gemüse- oder Obstanbau eingesetzt. «Die meisten untersuchten Gebiete sind wichtige Laichgebiete für Amphibien, von denen 70% in der Schweiz bereits gefährdet sind», sagt Etienne Vermeirssen. «Daher ist es wichtig, dass diese in Zukunft besser vor PSM geschützt werden.»

Die chronischen Qualitätskriterien gemäss Gewässerschutzverordnung (mehr zu den Grenzwerten und Umweltqualitätskriterien: siehe ganz unten) wurden von Cypermethrin maximal um das 25-fache überschritten, vom Herbizid Nicosulfuron um das 8-fache und von Chlorpyrifos um das 2-fache. Chlorpyrifos ist in der Schweiz bereits seit 2020 verboten. Bei Cypermethrin wurde auch das akute Qualitätskriterium überschritten, das vor Effekten durch kurzzeitige Belastungen schützen soll und laut Gewässerschutzverordung zu keinem Zeitpunkt überschritten werden sollte. Ebenfalls überschritten wurden die vom Oekotoxzentrum vorgeschlagenen chronischen Qualitätskriterien für die Pyrethroide Deltamethrin (1180-fach), lambda-Cyhalothrin (18-fach) und Permethrin (5-fach). Weitere weniger gut abgesicherte ad-hoc Qualitätskriterien wurden von Cyfluthrin (60-fach), von Tefluthrin (39-fach) und von Bifenthrin (5-fach) überschritten, bei denen es sich auch um Pyrethroide handelt. Permethrin ist nur als Biozid zugelassen und nicht als PSM.

Besonders kritisch sind Pyrethroide

Bei fast allen kritischen Stoffen handelt es sich um Pyrethroide, Nervengifte, die die Ionenkanäle in den Nerven blockieren. Pyrethroide sind erst vor kurzem ins Auge der Öffentlichkeit geraten, da sie früher analytisch kaum nachweisbar waren. Untersuchungen der Eawag haben gezeigt, dass die Stoffe in Bächen regelmässig Qualitätskriterien überschreiten, ab denen eine chronische und teilweise sogar akute Schädigung von Organismen möglich ist.

Ungeachtet der Risikoklasse wurden in allen Stillgewässern PSM gemessen und es gab keinen klaren Zusammenhang mit der zuvor bestimmten Risikoklasse. Für das Stillgewässer, das mit 29 Einzelstoffen am meisten PSM enthielt, war ein nur geringes Risiko abgeschätzt worden. In zwei Dritteln der Stillgewässer wurden chronische Qualitätskriterien für einzelne PSM überschritten (siehe Abbildung), bei einem Drittel der Stillgewässer auch akute Qualitätskriterien. Die chronischen Qualitätskriterien wurden für 21 PSM überschritten, die akuten Qualitätskriterien für sieben PSM.

Verschiedene Eintragswege spielen eine Rolle

«Wir sehen, dass die PSM ihren Weg in die Biotope nationaler Bedeutung finden, obwohl diese geschützt sein sollten», sagt Etienne Vermeirssen. Für die untersuchten Amphibienlaichgebiete und Flachmoore war erwartet worden, dass PSM hauptsächlich über Wasser eingetragen werden. Als Quellen sind hier Oberflächenabfluss, Auswaschung und Drainagen denkbar, aber auch Abfluss von versiegelten Flächen oder Einträge durch die Kanalisation, die via Fliessgewässer ins Biotop gelangen. «Wir sind aber inzwischen überzeugt, dass auch der Eintrag über die Luft eine Rolle spielt», erklärt Etienne Vermeirssen. «Im Rahmen des Projekts haben unsere Projektpartner Carbotech und Basel-Stadt nämlich Luft und Regen analysiert und dort zahlreiche PSM nachgewiesen.»

Ein Ausbreitungsversuch zeigte, dass nach der Applikation eines PSM die Luft in weiterer Entfernung mit dem Wirkstoff belastet war und sich PSM wohl noch Stunden nach der Anwendung im Feld verflüchtigen. So können einige PSM auch grossräumig verfrachtet werden und über den Regen selbst weit entfernte Böden und Gewässer belasten. «Jetzt ist eine gute Umsetzung des Aktionsplans Pflanzenschutzmittel wichtig, um sicherzustellen, dass die hier untersuchten empfindlichen Ökosysteme in Zukunft angemessen geschützt werden», sagt Vermeirssen.

Mehr Informationen finden Sie in den Berichten auf der Projekt-Webseite.

Ökotoxikologisch basierte Schwellenwerte in Gewässern

Das Oekotoxzentrum hat für zahlreiche Substanzen aus Daten zu ihrer Ökotoxizität Umweltqualitätskriterien (UQK) abgeleitet. Dies sind Schwellenkonzentrationen, oberhalb derer empfindliche Organismen in ihrer Gesundheit, Fortpflanzung und Entwicklung beeinträchtigt werden können. Man unterscheidet zwischen akuten Qualitätskriterien, die vor dem Auftreten kurzfristiger Effekte, und chronischen Qualitätskriterien, die vor längerfristigen Effekten schützen sollen. 19 dieser UQK für PSM wurden in die Schweizerische Gewässerschutzverordnung übernommen, sind also damit gesetzlich verankert. «Ad hoc» -UQK beruhen auf weniger Toxizitätsdaten und können daher nur eine Orientierung darüber geben, ob ein Risiko bestehen könnte.

 

Photo: Adrian Michael

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Medienkontakt

Dr. Anke Schäfer
Dr. Anke Schäfer E-Mail Kontakt Tel. +41 58 765 5436

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