17. Mai 2023, Thema: Aquatische Ökotoxikologie Risikobewertung Sedimentökotoxikologie
Beurteilung der Gewässerqualität mit Biomarkern in Bachforellen
Biomarker weisen Effekte von Schadstoffen auf Wildtiere frühzeitig und empfindlich nach und ergänzen chemische Messungen. Weitere Untersuchungen zur natürlichen Variabilität der Methode sind notwendig.
Methoden, die biologische Effekte messen, sind wichtig zur Beurteilung der Gewässerqualität. Sie stellen nämlich eine Verbindung zwischen den Schadstoffmischungen in der Umwelt und ihrer Wirkung auf Wasserorganismen dar. Neben Biotests spielen hier Biomarker eine wichtige Rolle, also quantifizierbare biologische Reaktionen auf Umweltstress. Biomarker ermöglichen es, ein grosses Spektrum an Wirkungen zu messen wie zum Beispiel Neurotoxizität oder Immuntoxizität, die teilweise noch nicht durch Biotests abgedeckt sind. Hier wurden Biomarker in wildlebenden Fischen betrachtet: Sie spiegeln den Gesundheitszustand der Tiere wider und weisen auf die Art der Stressfaktoren hin, denen die Tiere ausgesetzt sind.
Als erste Reaktion einer Zelle nach einer Belastung durch Schadstoffe verändert sich ihre Genexpression. Veränderungen in der Genexpression können als molekulare Biomarker dienen, um Effekte empfindlich und frühzeitig zu erkennen. Bei Fischen reagieren die frühen Lebensformen besonders empfindlich, diese leben zudem im Frühling und Frühsommer, also zur gleichen Zeit, in der auch Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden.
Fast 100 Biomarker in Leber und Gehirn
«Wir haben in diesem Projekt 96 Biomarker in Bachforellen ausgewählt mit dem Ziel, Effekte von Schadstoffen – besonders Pflanzenschutzmitteln – zu erkennen», sagt Projektleiterin Anne-Sophie Voisin. Die Biomarker decken viele biologische Prozesse ab wie die Umwandlung von Schadstoffen, oxidativen Stress durch reaktive Sauerstoffformen, Effekte auf das Immun- und das Nervensystem, Effekte auf das Hormongleichgewicht oder allgemein Effekte auf Zellen. Die Biomarker wurden auf Bachforellen aus 10 Flüssen im Schweizer Mittelland angewendet – nämlich 5 Standorten mit landwirtschaftlicher Nutzung und 5 mit extensiver Nutzung (siehe Newsartikel). «Die Fischereiaufseher der Kantone haben für uns in diesen Gewässern Jungfische gefangen», erklärt Anne-Sophie Voisin. «Von diesen Fischen haben wir Leber und Gehirn seziert, die RNA extrahiert und diese anschliessend nachgewiesen.» Während in der Leber toxische Substanzen verstoffwechselt und umgewandelt werden, zeigen sich im Gehirn neurotoxische Effekte. Parallel dazu wurden in den Wasserproben zahlreiche Schadstoffe chemisch analysiert.
Teils gute Übereinstimmung mit chemischen Analysen
«Besonders viele Effekte auf die Genexpression haben wir an den landwirtschaftlichen Standorten gefunden, aber auch an den extensiv genutzten Standorten», berichtet Projektleiterin Anne-Sophie Voisin. «Das waren zum Beispiel Effekte auf die Biotransformation, das Immunsystem, das Nervensystem oder den Lipidstoffwechsel und Reaktionen auf oxidativen Stress.» Die chemische Analyse ergab an nur einem Standort ein hohes chronisches Risiko für Wirbeltiere, und zwar aufgrund der hohen Konzentration des Pyrethroid-Insektizids Deltamethrin. An diesem Standort zeigten die Biomarker Effekte auf das Hormonsystem und den Lipidstoffwechsel und eine mögliche Reifeverzögerung an, so dass hier die chemische Analytik und die Biomarker-Resultate übereinstimmten.
«Wir haben aber auch an anderen Standorten Effekte gefunden, an denen die chemische Analyse nicht auf ein Risiko für Wirbeltiere hinwies», sagt Anne-Sophie Voisin. An drei dieser Standorte wurden Insektizide in Konzentrationen nachgewiesen, die chronische Effekte auf Wirbellose erwarten liessen. Effekte auf Wirbellose können natürlich auch direkt oder indirekt Auswirkungen auf die Fische nach sich ziehen. An mehreren Standorten wurde zudem eine erhöhte Konzentration an Kupfer gefunden, an je einem Standort auch zu viel Zink oder Nitrat. Teilweise gab es eine gute Übereinstimmung der chemischen Analyse mit den Biomarker-Resultaten, teilweise nicht.
Referenzwerte müssen bestimmt werden
Die Analyse von Biomarkern in Wildorganismen bringt einen Mehrwert zur chemischen Analyse. Die Tiere sind nämlich allen Umweltbedingungen und –faktoren ausgesetzt. «Wenn wir verschiedene Ansätze kombinieren – zum Beispiel chemische Analyse und Biomarker – erhöht das die Wahrscheinlichkeit dafür, ökotoxikologische Risiken zu erkennen», sagt Anne-Sophie Voisin. Die Biomarker-Methode ist geeignet für einen Einsatz in der Routineüberwachung von Gewässern und hat ein Potential dazu, «Hot Spots» und relevante Stressfaktoren zu identifizieren. Es braucht jedoch noch weitere Entwicklungsarbeit.
«Ein Problem ist, dass es noch keine Referenzwerte für Biomarker gibt, die angeben, ab welcher Schwelle ein Effekt als toxisch gilt», räumt Anne-Sophie Voisin ein. «Die extensiv genutzten Standorte waren auch mit Metallen und Pestiziden belastet und daher nicht zur Bestimmung von Referenzwerten geeignet.» Referenzwerte sind notwendig, um Unterschiede in der Genexpression, die tatsächlich aus Stress resultieren, von solchen zu trennen, die auf natürlichen Variationen im Lebensstadium, genetischen Faktoren oder abiotischen Faktoren beruhen. Dafür müsste man Biomarker und Störfaktoren an vielen Standorten analysieren und die Resultate vergleichen. «Wenn dieser Schritt erreicht ist, kann das volle Potential von Biomarkern ausgeschöpft werden», so Voisin.
Publikation
Voisin, A.-S., Fasel, M., Beauvais, R., Kienle, C., Ferrari, B., Werner, I. (2023) Biomarqueurs moléculaires. Application pour la surveillance de la qualité de l’eau avec la truite de rivière. Aqua & Gas 103(4), 42-48