14. Mai 2019, Thema: Aquatische Ökotoxikologie
Biotests und Standardisierung für das Schweizer Umweltmonitoring
Für die Bewertung abwasserbelasteter Gewässer in der Schweiz steht ein Grobbeurteilungskonzept bereit. Auch bei der Standardisierung der einzelnen Arbeitsschritte wurden entscheidende Fortschritte gemacht.
Pflegeprodukte, Pflanzenschutzmittel, Arzneimittel – viele menschgemachte Stoffe, die für uns nützlich sind, gelangen in die Gewässer und bringen dort das Ökosystem aus dem Gleichgewicht. Die Gewässerüberwachung hilft dabei, besonders problematische Orte zu entdecken und deren Zustand zu verbessern. Dafür setzen Behörden als Ergänzung zur chemischen Wasseranalytik immer häufiger auf Biotests: Diese sind besonders zur Beurteilung von biologisch aktiven Stoffen und von Stoffgemischen nützlich. Doch nur standardisierte Biotests lassen sich regulatorisch verankern. Das Oekotoxzentrum hat ein Konzept für die Bewertung der Gewässerqualität entwickelt und Standardisierungsverfahren vorangetrieben. Ziel ist es, den kantonalen Gewässerschutzfachstellen und privaten Labors nützliche und praxistaugliche Werkzeuge in die Hand zu geben.
Konzept zur Grobbeurteilung der Gewässerqualität
Im Rahmen des Modul-Stufen-Konzepts hat das Oekotoxzentrum ein Konzept zur Grobbeurteilung von abwasserbelasteten Fliessgewässern mit ökotoxikologischen Biotests erarbeitet [1]. «Wir haben besonderen Wert darauf gelegt, dass die vorgeschlagenen Tests kostengünstig und einfach durchführbar und interpretierbar sind», sagt Projektleiterin Cornelia Kienle. Gemäss dem Konzept wird das gereinigte Abwasser nach der Behandlung in der Abwasserreinigungsanlage (ARA) mit Biotests untersucht. Aus der gemessenen Belastung kann dann auf die Situation im ableitenden Fliessgewässer extrapoliert werden.
Im Konzept werden zwei Biotests angewendet, die sich gegenseitig ergänzen: Der kombinierte Algentest mit einzelligen Grünalgen weist Stoffe nach, die die Photosynthese und das Wachstum von Pflanzen und Grünalgen hemmen. Er ist besonders für den Nachweis von Herbiziden geeignet, die in Schweizer Oberflächengewässern regelmässig in umweltrelevanten Konzentrationen nachgewiesen werden. Der Hefezell-Östrogentest (Yeast Estrogen Screen, YES) verwendet genmanipulierte Hefezellen, die östrogen-aktive Stoffe nachweisen. Diese Stoffe können die Vermehrung von Fischen und Wirbellosen stören, indem sie ihr Hormonsystem beeinflussen. Mit beiden Biotests kann auch die Reinigungsleistung der ARA beurteilt werden.
Gefragte Standardisierung
Die beiden Biotests waren noch nicht standardisiert, als das Konzept erarbeitet wurde. «Bei den Kantonen ist das Interesse gross, standardisierte Biotests zu verwenden», erklärt Etienne Vermeirssen. Die langwierige Standardisierung von Testverfahren erscheint zunächst als Hindernis für die Anwendung innovativer Methoden, bietet jedoch zahlreiche Vorteile: Sie zeigt nämlich die Zuverlässigkeit und Belastbarkeit der Messdaten und macht diese gerichtsfest. Ausserdem gibt die Standardisierung die Sicherheit, dass die Tests für ihren Verwendungszeck optimal angepasst wurden, und die Anwender vermeiden überflüssige Arbeit bei der Optimierung der Verfahren. Das Oekotoxzentrum engagiert sich für die Standardisierung von Biotests durch seine Mitarbeit in mehreren Arbeitskreisen der beteiligten Organisationen SNV, DIN und ISO (siehe Kasten).
Standardisierung in der Gewässerbeurteilung
Wenn Biotests für den Nachweis von Östrogenen und algenhemmenden Stoffe eingesetzt werden sollen, gibt es verschiedene Elemente, die möglichst alle standardisiert sein sollten:
- Probenahme
- Festphasenanreicherung
- Eigentlicher Biotest
- Auswertung (BEQ)
- Vergleich mit Grenzwerten/Triggerwerten
Für die Probenahme existieren mehrere ISO-Standards [2,3,4]. Sie beschreiben, worauf bei der Entnahme und Lagerung von Wasserproben geachtet werden muss, damit die Resultate der Analyse reproduzierbar und aussagekräftig sind.
Für die genannten Biotests ist eine Festphasenanreicherung (sold phase extraction = SPE) notwendig, um die Wasserproben ausreichend zu konzentrieren und so den Nachweis der darin enthaltenen Schadstoffe möglich zu machen. Dazu werden die Wasserproben über Säulen gespült, an denen die organischen Schadstoffe haften bleiben. Die Stoffe werden anschliessend mit einem Lösungsmittel abgelöst und für die weiteren Analysen verwendet. «Die von uns verwendete SPE-Methode haben wir gerade für die Rückgewinnung von zahlreichen Verbindungen validiert», sagt Etienne Vermeirssen. [5].
Vor kurzem konnte das Oekotoxzentrum bei der Standardisierung der Biotests entscheidende Fortschritte erreichen: Gleich drei Tests für den Nachweis von Östrogenen in Wasserproben wurden endlich standardisiert. Zwei davon sind Varianten des Hefezell-Östrogentests. Der L-YES fügt das Enzyms Lyticase hinzu und ist dadurch empfindlicher und schneller als der klassische YES [6]. Der A-YES verwendet einen alternativen Hefestamm, der unempfindlich gegen hohe Salzkonzentrationen ist [7]. Als dritter im Bunde wurde ein Test mit einer menschlichen Zelllinie standardisiert, wie sie zum Beispiel im ER-Calux eingesetzt wird [8]. Für den kombinierten Algentest bereitet das Oekotoxzentrum derzeit einen neuen Projektvorschlag für eine ISO-Abstimmung vor. Dieser dient als Grundlage für das Standardisierungsverfahren.
Eine Auswertung der Biotestresultate erfolgt, indem die Wirkung der Substanzmischung im Probenextrakt mit der Wirkung eine Referenzsubstanz verglichen wird. Dazu werden Konzentrationswirkungskurven sowohl für die Referenz als auch die Probe erstellt. Wenn die Kurven unterschiedliche Maximalwerte und Steigungen zeigen, ist eine einheitliche Auswertung schwierig. Daher erarbeitet das Oekotoxzentrum zusammen mit der BfG in Koblenz einen ISO-Standard dafür. Dieser soll bis 2020 fertig sein.
Zur Bewertung werden die Biotestergebnisse schliesslich mit Triggerwerten verglichen: Effektbasierte Triggerwerte (EBT) geben an, wieviel Effekt im Biotest akzeptabel oder inakzeptabel ist. Als EBT kann zum Beispiel das chronische Umweltqualitätskriterium (UQK, effektbasierter Grenzwert) oder der EQS (environmental quality standard, Grenzwert der EU) für die Referenzsubstanz des Biotests verwendet werden. Um die Wirkung von Stoffen mit demselben Wirkmechanismus vergleichen zu können, kann ihre Aktivität nämlich als diejenige Konzentration einer Referenzsubstanz ausgedrückt werden, die ebenso potent wirkt wie die unbekannte Mischung: «Wenn diese biologische Äquivalenzkonzentration grösser ist als das chronische UQK für die Referenzsubstanz, ist die Wasserqualität ungenügend», erklärt Etienne Vermeirssen.
Standardisierung – wie funktioniert das eigentlich?
In Europa werden Biotests für die Umweltüberwachung hauptsächlich von der Internationalen Organisation für Normung (ISO), dem europäischen Komitee für Normung (CEN) und den nationalen Normungsinstituten wie der Schweizerischen Normen-Vereinigung (SNV) oder dem Deutschen Institut für Normung (DIN) normiert. Biotests für die Chemikalienprüfung im Rahmen der Zulassung, die teils auch für die Umweltüberwachung interessant sein können, werden von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) standardisiert. Zentral für alle Standardisierungsverfahren ist es, dass die Reproduzierbarkeit und Übertragbarkeit eines Tests bewiesen wird. Dafür werden in Ringversuchen identische Proben in zahlreichen Labors gemessen, die Analyseergebnisse verglichen und anschliessend statistisch ausgewertet. Das Oekotoxzentrum hat sich an zahlreichen Ringversuchen beteiligt.
Literatur
1) Kienle, C., Vermeirssen, E., Kunz, P., Werner, I. (2018) Grobbeurteilung der Wasserqualität mit Biotests: Ökotoxikologische Biotests zur Beurteilung von abwasserbelasteten Fliessgewässern. Aqua & Gas 4, 40-48
2) International Standard ISO 5667-6 Water quality Sampling Part 6: Guidance on sampling of rivers and streams
3) International Standard ISO 5667-14 Water quality Sampling Part 14: Guidance on quality assurance and quality control of environmental water sampling and handling
4) International Standard ISO 5667-16:1998 Water quality Sampling Part 16: Guidance on biotesting of samples
5) Simon, E., Schifferli, A., Bucher, T.,B., Olbrich, D., Werner, I., Vermeirssen E.L.M. (2019) Solid-phase extraction of estrogens and herbicides from environmental waters for bioassay analysis—effects of sample volume on recoveries Analytical and Bioanalytical Chemistry https://doi.org/10.1007/s00216-019-01628-1
6) International Standard ISO/DIS 19040-1 Water quality Determination of the estrogenic potential of water and waste water Part 1: Yeast estrogen screen (Saccharomyces cerevisiae)
7) International Standard ISO/DIS 19040-2 Water quality Determination of the estrogenic potential of water and waste water Part 2: Yeast estrogen screen (A-YES, Arxula adeninivorans)
8) International Standard ISO/DIS 19040-3 Water quality Determination of the estrogenic potential of water and waste water Part 3: In vitro human cell-based reporter gene assay