19. Mai 2022, Thema: Aquatische Ökotoxikologie
Empfindlichere Biotests auf Dünnschichtplatten
Das Oekotoxzentrum hat eine innovative Methode etabliert, um die Toxizität von unbekannten Mischungen empfindlich zu bestimmen und die verantwortlichen Stoffe zu enttarnen. Dies ist nicht nur für die Lebensmittelsicherheit interessant, sondern auch für die Umweltanalytik.
Chemikalien aus Verpackungsmaterial können in Lebensmittel übergehen und so Verbraucher gefährden. Doch die Überwachung dieser Stoffe ist schwierig: Denn hier handelt es sich nicht nur um Bestandteile des Verpackungsmaterials, sondern auch um Verunreinigungen und um Stoffe, die während der Herstellung oder der Lagerung der Verpackungen entstehen. Einige dieser Stoffe können toxisch sein, doch wie soll man diese herausfiltern? Da die Verbraucher vor giftigen Stoffen geschützt werden sollen, müssen Stoffe, die aus Verpackungsmaterial in die Nahrung migrieren könnten, überwacht werden.
Chemikalien, die in Lebensmittelverpackungen verwendet werden, sind daher reguliert. Dabei erhalten die Chemikalien je nach Toxizität spezifische Migrationsgrenzwerte, die angeben, welche Menge der Stoffe in die Nahrung übergehen darf. Diese Stoffe sind alle bekannt und können daher bei der Lebensmittelkontrolle mit gezielter chemischen Analytik überprüft werden. Dies gilt jedoch nicht für die Stoffe, die ungewollt ins Verpackungsmaterial gelangen. Da die Anzahl dieser Stoffe sehr gross ist, ist es auch nicht realistisch, sie mit ungerichteter chemischer Analytik zu erfassen und anschliessend zu identifizieren. Um die Verbraucher zu schützen, ist hier ein alternativer Ansatz notwendig.
Stoffreduktion und Nachweis unbekannter Giftstoffe
Eine elegante Lösung hat nun Postdoktorand Alan Bergmann am Oekotoxzentrum weiterentwickelt: nämlich eine Kombination aus Hochleistungs-Dünnschichtchromatographie (HPTLC = high performance thin-layer chromatography) und Biotests, die toxische Stoffe über ihre biologische Wirkung nachweisen. «Dieser Ansatz schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klappe», erläutert Alan Bergmann. «Auf der einen Seite ermöglicht es der Einsatz von Biotests, auch unbekannte Schadstoffe zu erfassen. Auf der anderen Seite macht es die Auftrennung der Stoffmischung in kleinere Fraktionen während der Chromatographie möglich, gezielt nur die toxischen Fraktionen weiter zu untersuchen.» Finanziert wurde das Projekt vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen.
Zunächst wird die komplexe Stoffmischung in einer Probe auf der Dünnschichtplatte aufgetragen und während der Flüssigchromatographie nach Masse und Polarität der Stoffe in Fraktionen aufgetrennt, die nur noch eine kleinere Zahl an Einzelstoffen enthalten. Um die Fraktionen zu finden, die toxische Stoffe enthalten, werden anschliessend Biotests direkt auf der Platte durchgeführt: Je nach verwendetem Biotest werden so verschiedene Substanzgruppen detektiert. Mit Hilfe von hochauflösender Massenspektrometrie (LC-HRMS/MS) kann nun gezielt die Identität der giftigen Stoffe bestimmt werden. «Dies geht einfacher, da die Fraktion nicht mehr so viele Stoffe enthält wie die ursprüngliche Probe», so Alan Bergmann. «Und im Vergleich zur Hochleistungsflüssigchromatographie (HPLC), einer alternativen Methode zur Fraktionierung, können bei der HPTLC mehrere Proben zur selben Zeit fraktioniert werden». Die Methode lässt sich nicht nur im Lebensmittelbereich einsetzen, sondern auch in der Umweltanalytik.
Gentoxizität besonders gefährlich
Gentoxische Substanzen, die Schäden an der DNA anrichten, gelten in Lebensmitteln als die kritischsten Substanzen: Sie besitzen die höchste Toxizität und stellen daher das höchste Risiko für die menschliche Gesundheit dar. Deshalb hat Alan Bergmann die neue Methode für diese Stoffgruppe angepasst und überprüft. Die Gentoxizität wird dabei mit gentechnisch verändert Bakterien der Gattung Salmonella nachgewiesen. Für den Nachweis nutzt Bergmann die Aktivierung des zelleigenen Reparatursystems, das DNA-Schäden beheben soll. «Zuerst trennen wir die Stoffe in der Probe chromatographisch auf», erklärt Alan Bergmann. «Dann bestimmen wir die Gentoxizität der entstandenen Banden, indem wir die Platten mit der Bakterienlösung besprühen.» Wird das umuC-Gen aktiviert – ein Bestandteil des DNA-Reparatursystems der Zelle – so wird über ein gekoppeltes Reportergen ein Enzym produziert, das eine Farbreaktion hervorruft. Die toxischen Banden werden anschliessend über ihre Fluoreszenz sichtbar gemacht. Dieser Biotest ist schon lange bekannt, wird aber sonst in Mikrotiterplatten durchgeführt und wurde in diesem Projekt für Dünnschichtplatten adaptiert.
Empfindliche Nachweismethode für gentoxische Stoffe
Alan Bergmann testete die Methode zunächst mit mehreren bekannten gentoxischen Chemikalien aus. Die Stoffe konnten mit dem neuen Test alle verlässlich nachgewiesen werden. Wenn man die Durchführung des Biotests auf der Dünnschichtplatte mit der Durchführung desselben Tests auf der Mikrotiterplatte vergleicht, so zeigt sich, dass der Test auf der Dünnschichtplatte durchwegs empfindlicher reagierte, nämlich ungefähr zwei Grössenordnungen. Damit ist das Testsystem ausreichend empfindlich, um die gefährlichsten gentoxischen Stoffe im Bereich ihrer erlaubten Grenzwerte nachzuweisen. «Für schwächer wirkende Stoffe reicht dies allerdings noch nicht ganz aus», räumt Alan Bergmann ein. «Man müsste dazu die Proben stärker aufkonzentrieren.»
Kartonverpackungen enthalten gentoxische Substanzen
Um die Relevanz des Systems für die Praxis zu bestimmen, setzte Alan Bergmann den Test auf Extrakte echter Lebensmittelverpackungen aus Karton ein, die Projektpartner von der Lebensmittelkontrolle der Kantone Zürich und St. Gallen zur Verfügung gestellt hatten. Zunächst wurden die Verpackungen mit Lösungsmitteln extrahiert, um darin enthaltenen Chemikalien herauszulösen. Mit Hilfe des neuen Kombinationstests konnte Bergmann in den Extrakten mehrere gentoxische Stoffe nachweisen: In einer Probe identifizierte er vier gentoxische Banden. «Die geprüften Lebensmittelverpackungen enthielten also tatsächlich gentoxische Stoffe, die mit unserem Test nachgewiesen wurden», sagt Alan Bergmann. «Ob die Stoffe aus dem Verpackungsmaterial tatsächlich in die Lebensmittel gelangen, sollte allerdings noch genauer abgeklärt werden.»
Doch um welche Stoffe handelt es sich dabei? Die vorgeschaltete HPTLC vor dem Biotest reduzierte die Zahl der Einzelstoffe in den einzelnen Banden um 98% im Vergleich zur ursprünglichen Probe. Wird die Chromatographie zweidimensional durchgeführt, das heisst nacheinander in zwei Richtungen, so konnte die Stoffanzahl gar auf 0.6% reduziert werden. So ist es bei unbekannten komplexen Mischungen leichter möglich, mit Hilfe von Massenspektrometrie die verantwortlichen Chemikalien für eine beobachtete Toxizität zu identifizieren: Für eine Bande der Verpackung gelang dies Bergmann bereits und er konnte nachweisen, dass es sich hier um CMIT handelte, ein bekanntes Biozid, das bei der Herstellung von Karton eingesetzt wird.
Flexibles Testsystem: Auch andere Stoffklassen werden erkannt
Doch gentoxische Stoffe sind nicht die einzige Stoffgruppe, für die die Kombination von HPTLC und Biotests eingesetzt wird: Alan Bergmann hat das Testsystem auch schon für Stoffe mit hormonähnlicher Wirkung etabliert und ausgetestet (siehe Oekotoxzentrum News 20). Für diese Stoffe setzte er den Hefezellöstrogentest mit gentechnisch veränderten Hefen ein (YES = yeast estrogen screen). Auch für hormonaktive Stoffe lag die Nachweisgrenze bei der Durchführung des Biotests auf Dünnschichtplatten deutlich niedriger als bei der herkömmlichen Durchführung in Mikrotiterplatten. Hormonaktive Stoffe können in Lebensmittelverpackungen beispielsweise in Beschichtungen von Konservendosen vorkommen. «Wir haben den Dünnschicht-YES nicht nur erfolgreich auf Lebensmittelverpackungen eingesetzt, sondern auch auf Trinkwasser- und Flusswasserproben», sagt Alan Bergmann.
In der Zukunft sollen auch noch andere Biotests auf Dünnschichtplatten adaptiert werden. So sind die Forschenden momentan daran, Biotests mit Leuchtbakterien für die Messung der allgemeinen Toxizität am Oekotoxzentrum zu etablieren. Auch der Einsatz eines Biotests für den Nachweis von Neurotoxizität steht auf dem Programm. «Wir möchten die neue Methode in Zukunft auch vermehrt auf Umweltproben anwenden», betont Alan Bergmann. So zum Beispiel in einem Projekt, in der der Ökotoxizität von Reifenpartikeln auf den Grund gegangen wird. «Wir sind überzeugt davon, dass unsere Methode robust und sensitiv genug ist, um sie in zahlreichen Settings einzusetzen», sagt Alan Bergmann. Er möchte die bestehende Zusammenarbeit mit den kantonalen Laboratorien und der Industrie fortsetzen und das Know-How auch an interessierte Stakeholder weitergeben.