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Forellen messen den Einfluss von Schadstoffen

18. Mai 2018, Thema: Aquatische Ökotoxikologie

Forellen messen den Einfluss von Schadstoffen

Chemikalien in Gewässern haben Effekte auf dort lebende Organismen. Die Aktivierung von Biomarkergenen in Forellen ist ein gutes Mass für solche Effekte unter Freilandbedingungen und kann zur Beurteilung der Gewässerqualität eingesetzt werden.

Gewässerorganismen sind zahlreichen Schadstoffen ausgesetzt, die ihre Gesundheit und schliesslich das Funktionieren der Gewässer bedrohen. Um die Gewässerqualität zu bewerten, werden bisher meist Wasserproben genommen und chemisch analysiert, manchmal auch mit Biotests im Labor untersucht. Dieses Vorgehen ist aber oft unzureichend: Die chemischen Analysen können nicht alle Schadstoffe und deren Wirkung erfassen. Auch Labor-Biotests sind in ihrer Aussagekraft beschränkt, da die Vielfalt von Schadstoffen, Arten und möglichen Effekten die Bewertung sehr anspruchsvoll macht. Für beide Ansätze gilt, dass auch Zeitpunkt und Dauer der Probenahme einen starken Einfluss auf die Ergebnisse haben. Das, weil sich die Schadstoffkonzentration mit der Zeit ändert. Solche Änderungen und Wechselwirkungen mit anderen Stressoren wie Temperaturstress oder Nahrungsmangel, die im Freiland häufig vorkommen, können im Labor nicht simuliert werden. 

Daher stellt die Untersuchung von Schadstoffwirkungen mit Hilfe von Biomarkern in freilebenden Organismen einen äusserst realitätsnahen Ansatz für das Umweltmonitoring dar. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Analyse der Genexpression von ausgewählten Biomarkergenen effektiv zur Bewertung der Wasserqualität verwendet werden kann: Biomarkergene sind solche Gene, die in den Zellen Schutzmechanismen gegenüber Umweltstress regulieren. Die Aktivierung dieser Gene steht am Anfang der komplizierten Wirkungskette und kann auf viele Organismen übertragen werden. Eine solche Stressantwort führt zwar nicht unbedingt zum Tod der Organismen, schädigt sie jedoch langfristig und verringert ihre Belastbarkeit durch andere Einflüsse. Gemessen wird die Genaktivierung über die Bildung von Boten-RNA (mRNA), die den ersten Schritt auf dem Weg vom Gen zum Protein darstellt. 

Ausgewählte Biomarker in Bachforellen

Bis jetzt wurde diese Methode hauptsächlich im Labor eingesetzt. Es gibt nur wenige Untersuchungen, die Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum mit Hilfe von Biomarkergenen beurteilen. Das wollte das Oekotoxzentrum ändern: In einer grossen Studie hat es zusammen mit der Eawag den Einfluss von gereinigten Abwässern auf Bachforellen untersucht. Die Wissenschaftler analysierten die Regulation von Biomarkergenen in Fischen, welche flussaufwärts und flussabwärts von Abwasserreinigungsanlagen (ARA) gefangen wurden. Ausserdem wollten sie wissen, ob sich durch diese Methode Verbesserungen der Wasserqualität nach einen ARA-Ausbau oder einer Umleitung des Abwassers nachweisen lassen. Das Bundesamt für Umwelt unterstützte das Projekt finanziell. 

Zunächst wählte Stephan Fischer von der Abteilung Umwelttoxikologie der Eawag 20 verschiedene Fischgene aus, die bei Umweltstress aktiviert werden und sich in früheren Projekten bewährt hatten (siehe Tabelle). Einige der Gene sind für die allgemeine Stressantwort verantwortlich, andere für den Abbau von Schadstoffen, die Abwehr von Krankheitserregern oder die Reaktion auf Umwelthormone oder Schwermetallstress. Als Testorganismus entschied sich Stephan Fischer für die Bachforelle, die in der Schweiz weitverbreitet ist. Er untersuchte vier verschiedene Standorte mit einem unterschiedlichen Belastungsprofil: die Steinach (St. Gallen), die Glatt in Herisau (Appenzell-Ausserrhoden), den Ellikerbach in Ellikon an der Thur (Zürich) und die Eulach in Elgg (Zürich). 

Konventionell gereinigtes Abwasser verschlechtert Wasserqualität

An allen Standorten fingen Stephan Fischer und seine Kollegen jeweils 12-14 junge Bachforellen. Anschliessend entnahmen sie ihnen Leber und Niere und analysierten die Aktivierung der gewählten Stressgene über die Menge der gebildeten mRNA. An der Steinach hing die allgemeine Stressantwort deutlich vom untersuchten Standort ab: Fast alle Stressgene wurden unterhalb der ARA stärker aktiviert als oberhalb. Gute Beispiele dafür sind das Hitzeschockprotein HSP70, das Fremdstofftransport-Protein ABCB1 und der Tumorsuppressor p53. Auch Enzyme aus dem Schadstoffmetabolismus wie die Monooxygenase Cyp3a und die Glutathion-Transferase GST wurden unterhalb der ARA verstärkt exprimiert, genauso Gene für die Regulation der Immunabwehr. Alle 5 Metallstress-Gene wurden unterhalb der ARA verstärkt abgelesen. Die Regulation des Östrogenrezeptors und des Eidotterproteins Vitellogenin, das bei juvenilen und männlichen Fischen eine verstärkte Belastung hormonaktiver Substanzen anzeigt, waren ebenfalls erhöht. 

Die Resultate zeigen deutlich, dass das gewählte Biomarker-Genset in der Bachforelle – keinem klassischen Modellorganismus – in der Lage ist, eine verschlechterte Gewässerqualität nachzuweisen, die durch die Einleitung des Abwassers verursacht wird. Teils konnte mit Hilfe der Biomarker auf die verantwortlichen Stoffgruppen wie Metalle oder hormonähnliche Stoffe geschlossen werden. Eawag-Wissenschaftler, die die Wasserproben chemisch analysierten, bestätigten dieses Ergebnis: Die Konzentration von 57 Mikroverunreinigungen, darunter viele Arzneimittel, Pestizide und 9 Schwermetalle, war unterhalb der ARA im Vergleich zu oberhalb 10- bis 100-mal höher. 

Kurz nach der Untersuchung wurde die Abwassereinleitung in die Steinach gestoppt und das gereinigte Abwasser direkt in den Bodensee eingeleitet. Stephan Fischer und Kollegen analysierten ein Jahr später erneut die Genexpression in jungen Bachforellen und stellten eine positive Auswirkung auf die Wasserqualität fest. «Die erhöhte Expression der Stressproteine unterhalb und der ARA war verschwunden. Die Gene wurden jetzt im gleichen Mass exprimiert wie am Standort oberhalb der ARA», freut sich Stephan Fischer. Die chemische Analyse bestätigte, dass die Konzentrationen von Mikroverunreinigungen und Metallen unterhalb der ARA deutlich zurückgegangen waren. 

Deutliche Effekte an allen Standorten

In Herisau erhielten die Wissenschaftler ein vergleichbares Bild wie in der Steinach: Die meisten Gene für die allgemeine Stressantwort, Tumorsuppresssion, Biotransformation, Metallstress und hormonaktive Effekte wurden unterhalb der ARA stärker exprimiert als oberhalb. Chemische Analysen bestätigten eine signifikant höhere Konzentrationen von Mangan, Eisen, Nickel Zink und Kobalt unterhalb der ARA als oberhalb. Die Analyse der organischen Mikroverunreinigungen zeigte ebenfalls, dass ein Grossteil der gemessenen Substanzen unterhalb der ARA stark erhöht war. 

Kurz nach der ersten Untersuchung wurde die ARA Herisau durch eine zusätzliche Reinigungsstufe mit partikulärer Aktivkohle (PAK) ausgebaut. Aktivkohle bindet organische Stoffe und Schwermetalle und sollte daher die Wasserqualität verbessern. Ein Jahr nach dem Ausbau wurde die Genexpression ein zweites Mal bestimmt. «Wir fanden, dass der Ausbau der ARA einen positiven Einfluss auf die Wasserqualität hatte. Die subletalen Effekte in den Fischen waren fast völlig verschwunden», sagt Stephan Fischer. Die chemische Analyse bestätigte dieses Ergebnis: Die Konzentration der organischen Mikroverunreinigungen und der Schwermetalle unterhalb der ARA lag nach dem ARA Ausbau deutlich tiefer als zuvor. 

Bei den anderen untersuchten Standorten, Ellikon und Elgg, zeigte sich dasselbe Bild wie in Steinach und Herisau: Die Genexpression der Stressmarker in den Bachforellen lag unterhalb der ARA auf einem deutlich höheren Niveau als oberhalb der ARA. Auch in Ellikon und Elgg war die Konzentration der organischen Mikroverunreinigungen und Schwermetalle unterhalb der ARA höher als oberhalb. 

Fischzellen als Alternative?

Die Wissenschaftler sind sehr zufrieden damit, wie sich die Biomarkermethode in Feldversuchen bewährt hat. «Wir versuchen allerdings, so wenig Tierversuche einzusetzen wie irgend möglich», erklärt Stephan Fischer. Was also, wenn es möglich wäre, die Biomarker in Fischzellkulturen statt in ganzen Fischen zu untersuchen? Fischzellen sind eine tierfreie, schnelle und weniger aufwändige Alternative für die Methode mit Fischen. Für eine erste Untersuchung benutzte Stephan Fischer Kiemen- und Leberzellkulturen der Regenbogenforelle. «Die Kiemenzellen von Fischen werden schon als Alternativmethode für die Vorhersage der akuten Fischtoxizität im Eawag-Spin-off aQatox-Solutions GmbH eingesetzt – die Methode wurde zudem bei der ISO (International Organization for Standardization) zur Evaluierung eingereicht. Die Leberzellen können ausserdem Schadstoffe transformieren», erklärt Stephan Fischer. Die Wissenschaftler exponierten die Fischzellen im Labor für maximal 24h gegenüber Wasserproben. Diese stammten aus der Steinach oberhalb und unterhalb der ARA, bevor das ARA-Abwasser in den Bodensee umgeleitet wurde. Fast alle Biomarker aus den ganzen Fischen waren auch in den Kiemen- und Leberzellen messbar. Die ersten Ergebnisse der Zellkulturen waren mit den Ergebnissen der ganzen Fische vergleichbar: So wurden die Stressgene in den Zellen, die mit Wasserproben von unterhalb der ARA exponiert wurden, stärker exprimiert als in Zellen, die mit Wasserproben von oberhalb der ARA exponiert wurden. Es braucht aber noch weitere Studien, bis der Test mit Zellinien routinemässig eingesetzt werden kann. Ein entscheidender Faktor war zum Beispiel die Frische der Wasserproben: Deren längere Lagerung bei -20°C hatte einen deutlichen Einfluss auf die Ergebnisse der Genexpressionsanalyse. 

«Die Genexpressionsanalyse von Biomarkern in Bachforellen ist eine sehr gute Methode, um die Effekte von aufgereinigtem Abwasser in freilebenden Fischen nachzuweisen», sagt Inge Werner. «Unterhalb der ARA haben wir bei den Fischen immer eine erhöhte Stressantwort gesehen. Der wesentliche Vorteil dieser Methode ist, dass sie sich leicht auf andere Arten anpassen lässt und die Bedingungen im Freiland widerspiegelt, was mit Labormethoden nicht möglich ist». Auch konnten die Wissenschaftler durch die Genexpression die Wirkung spezifischer Gruppen von Chemikalien wie Schwermetalle und hormonaktive Substanzen nachweisen. So wird es möglich, die Gewässerqualität anhand biologischer Indikatoren realitätsnah zu bewerten und zu überwachen. Der Nachteil ist, dass Tiere für die Probenahme getötet werden müssen. Weitere Untersuchungen können zeigen, ob Proben aus Schleim, Schuppen oder Flossen, für die die Tiere nicht getötet werden müssen, ähnlich gute Ergebnisse liefern können. Durch ihre geringe Komplexität könnte die in vitro Methode mit Fischzelllinien gut als Früherkennungsmethode eingesetzt werden. «Die Übertragung des Tests auf Zelllinien ist eine tierfreie, schnellere und weniger auswändige Alternative. Wir wollen diesen Ansatz weiterhin optimieren», sagt Stephan Fischer.

Mehr Informationen

Fischer, S., Fischer, M., Schirmer, K., Werner, I. (2017) Wirkungsorientierte Gewässerüberwachung: Biomonitoring mit Forellen

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