12. Mai 2021, Thema: Aquatische Ökotoxikologie Bodenökotoxikologie Sedimentökotoxikologie Risikobewertung
Mikroplastik in der Umwelt
Überall findet sich Plastik – in Gewässern, in Böden und auch in Lebensmitteln. Doch über die Wirkung der Partikel auf Ökosysteme und den Menschen ist noch zu wenig bekannt. Deshalb bleibt auch die Risikobewertung der Stoffe schwierig. Über den aktuellen Stand des Wissens informierte das Oekotoxzentrum in einem Online-Kurs im Januar.
Plastik ist ein wertvoller Werkstoff und hat seit seiner Entwicklung vor mehr als 100 Jahren einen weltweiten Siegeszug ohnegleichen angetreten: Jährlich werden mehr als 350 Millionen Tonnen Plastik produziert, und die Produktion von Plastik hat sich in den letzten 50 Jahren verzehnfacht. Ein Teil dieser Kunststoffe gelangt ungewollt oder durch Nachlässigkeit in Gewässer und Böden, wo er sehr langsam in kleinere Teilchen zerfällt. Dies führt dazu, dass inzwischen in allen Umweltbereichen, in Lebewesen und in Lebensmitteln in zunehmenden Mengen kleine Plastikpartikel, sogenanntes Mikroplastik, gefunden wird.
Kunststoffpartikel können giftige Zusatzstoffe enthalten und auch organische Schadstoffe adsorbieren. Wenn kleine Plastikteilchen von Lebewesen aufgenommen werden, stellen sie für diese eine potentielle Gefahr dar. Doch wie genau wirken die Partikel auf Ökosysteme und die menschliche Gesundheit? Wie kann ihr Risiko abgeschätzt werden und wie lassen sich die Stoffe vermeiden? Diesen Fragen widmete sich das Oekotoxzentrum im Januar in einem zweitägigen Weiterbildungskurs – dem ersten Oekotoxzentrum-Kurs, der ausschliesslich online durchgeführt wurde. Der Kurs wurde gemeinsam mit dem Schweizerischen Zentrum für angewandte Humantoxikologie (SCAHT) organisiert, um die Effekte auf Mensch und Umwelt möglichst systemübergreifend zu beschreiben.
Was genau ist Mikroplastik?
Als Mikroplastik bezeichnet man Plastikpartikel mit einer Grösse kleiner 5 mm sind sie kleiner als 100 nm, so spricht man von Nanoplastik. Mikroplastikpartikel können als Kugeln, Fragmente oder Fasern vorliegen. Sie entstehen entweder aus dem langsamen Zerfall oder Abrieb von grösseren Plastikgegenständen oder werden bereits als kleine Partikel produziert. In der Umwelt dominieren Partikel aus dem Strassenverkehr, aus Verpackungen, Sportplätzen und Baustellen. Kleinere Mengen an Mikroplastik aus Synthetikbekleidung, Reinigungsmitteln und Kosmetika werden über die Kläranlagen in Gewässer eingetragen, während Plastik aus der Landwirtschaft direkt in den Boden gelangt. In der Umwelt baut sich Plastik nur sehr langsam ab.
Charakterisierung und Nachweis in der Umwelt
Der Nachweis von Mikroplastik in der Umwelt ist aufwändig. Zum materialspezifischen Nachweis von einzelnen Partikeln wird meist FT-IR (Fourier-Transformations-Infrarotspektrometrie) oder RAMAN-Spektroskopie eingesetzt, bei denen die Teilchen auf Basis der Lichtemission nachgewiesen werden. Für eine grössenspezifische Messung der Partikelzahl ist dabei eine umfangreiche Aufreinigung der Proben notwendig. Zunächst muss alles organische Material entfernt und die Proben auf einen Filter aufgebracht werden. Dies stellt besonders für komplexe Matrizes wie Erde, Klärschlamm oder Sediment eine erste Herausforderung dar. Um die Anzahl der Mikroplastikpartikel zu bestimmen, sind verschiedene mikroskopische Methoden geeignet, wie zum Beispiel «Infrared laser chemical imaging», Durchflusszytometrie oder Massenspektrometrie mit induktiv gekoppeltem Plasma (ICP-MS). Dabei werden jedoch keine genaueren Informationen über das Plastikmaterial erhalten. Obwohl verschiedene Analysemethoden zur Verfügung stehen, gibt es bis jetzt noch keine standardisierte Methode zur Messung von Mikroplastik. Auch werden, je nach Forschungsziel, unterschiedliche Methoden verwendet. Da die Probenahmetechnik und die Messmethode die Ergebnisse stark beeinflussen, können Daten aus verschiedenen Versuchen nur begrenzt verglichen werden.
Ökotoxikologische Effekte
Mikroplastik wurde schon in allen Umweltkompartimenten nachgewiesen (Flüsse, Seen und Meere, Grundwasser, Boden und Sedimente, Luft), auch in abgelegenen Gebieten. Im Wasser werden grössere Partikel von Fischlarven und Krebstierchen aufgenommen, kleinere von Zooplankton. Die Interaktion und auch die Wirkung auf den Organismus hängen von zahlreichen Faktoren ab wie der Grösse, der Form und der Konzentration der Partikel, dem Material, und auch der Organismenart, ihrem Ernährungstyp und Entwicklungsstadium. Es ist schwierig, die Resultate zur Toxizität der Partikel, die meist in Laborexperimenten bestimmt werden, auf das Freiland zu übertragen. Zum einen werden Laborexperimente oft mit sehr hohen Konzentrationen durchgeführt. Während in den Tests meist kugelförmige Standardpartikel verwendet werden, dominieren in der Umwelt Fasern und Bruchstücke. Ausserdem wird Mikroplastik in der Umwelt weiter verändert, zum Beispiel durch die Besiedlung mit Biofilmen.
Mikroplastikpartikel können auf Organismen verschiedene Effekte haben: Bekannt sind etwa Funktionsstörungen (z.B. Instabilität des Köchers von Köcherfliegenlarven), Mangelernährung, Entzündungen und Entwicklungsstörungen. Modell-Mikroplastikpartikel sind auch in der Lage, die Gemeinschaftsstruktur von aquatischen Biofilmen und den Fortpflanzungserfolg von darauf lebenden Süsswasserschnecken zu beeinflussen. Im Boden kann Mikroplastik die Bodeneigenschaften verändern und Pflanzen und Bodenlebewesen beeinträchtigen. Neben der Bodenstruktur können sich die Aktivitäten von Bodenenzymen und bakteriellen Lebensgemeinschaften dabei ändern, ebenso wie der Keimerfolg, das Wachstum und die Biomasse von Pflanzen, die Biomasse von Regenwürmern und das Darmmikrobiom von Springschwänzen.
Effekte auf den Menschen
Der Nachweis von Mikroplastik in Lebensmitteln wie Mineralwasser, Honig, Bier, Meeresfrüchten und Salz hat zu weitverbreiteter Besorgnis geführt. Auch im Darm wurden die Stoffe bereits nachgewiesen. Grundsätzlich können Mikroplastikpartikel den Körper auf physikalische, chemische und biologische Art schädigen. Doch ist derzeit unklar, ob Mikroplastikpartikel vom Körper aufgenommen werden, da dafür mehrere Barrieren zu überwinden sind. Laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) können Partikel mit einer Grösse < 1,5 μm prinzipiell die Darmwand passieren und ins Blut übergehen. Andere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass diese kleinen Partikel in der Darmwand stecken bleiben und von dort direkt wieder ausgeschieden werden. Es gibt keine Daten zur Toxizität von Mikroplastikpartikeln auf den Menschen, nur Daten aus Tierstudien und Zellkulturen. Diese zeigen eine mögliche Zelltoxizität, Entzündungsreaktionen und Effekte auf das Wachstum, allerdings nur bei sehr hohen Konzentrationen, die deutlich über den derzeit gemessenen Umweltkonzentrationen liegen. Das menschliche Verdauungssystem ist nicht in der Lage, Mikroplastikpartikel nach dem Verschlucken zu zersetzen. Es scheint also, dass Mikroplastikpartikel kaum in Zellen aufgenommen werden und auch keine allzu hohe Toxizität haben. Doch zu einer abschliessenden Bewertung gibt es noch zu wenige Daten.
Risikobewertung von Mikroplastik
Das Risiko von Mikro- und Nanoplastikpartikeln auf die Gesundheit von Organismen wird abgeschätzt, indem die Umweltkonzentration mit der Konzentration verglichen wird, die gerade noch keinen Effekt auf Organismen hat. Daher haben Wissenschaftler diese Umweltkonzentrationen mit den Konzentrationen verglichen, die tatsächlich eine ökotoxikologische Wirkung hatten: Der Vergleich zeigte, dass sich die Konzentrationsbereiche nur wenig überlappen. Ein Umweltrisiko scheint daher momentan unwahrscheinlich. Auch das Risiko für den Menschen wird als derzeit unkritisch angesehen. Die Resultate sind allerdings mit Vorsicht zu betrachten, da sich das Umweltmaterial vom getesteten Mikroplastik unterscheidet.
Massnahmen zur Mikroplastikvermeidung an der Quelle und zur Entfernung aus der Umwelt
Abwasserreinigungsanlagen (ARA) können einen grossen Teil des Mikroplastiks zurückhalten, das ins Abwasser gelangt (rund 90 %). Trotzdem tragen beispielsweise die ARA im Kanton Zürich pro Tag noch 30 Milliarden Teilchen oder 600 g Mikroplastik in die Gewässer ein. Im Einzugsgebiet des Greifensees sind die Mikroplastikeinträge überall nachweisbar. Das Mikroplastik wird dort im Seesediment eingelagert, macht aber im Vergleich zu den natürlichen Sedimentpartikeln zur Zeit einen sehr geringen Teil aus. Durch den Einbau einer Membranfiltrationsanlage auf ARA könnten noch mehr Partikel zurückgehalten werden, doch dies wäre unverhältnismässig teuer. Massnahmen an der Quelle sind daher zielführender als solche end of pipe-Massnahmen.
In einigen Bereichen eignen sich biologisch abbaubare Polymere als Alternative zu den üblichen Kunststoffen: So hat zum Beispiel PBAT (Poly(Butylene Adipate-co-Terephthalate) das Potential für den Einsatz als Mulchfolie in der Landwirtschaft. Die Anwendung von abbaubaren Kunststoffen muss allerdings von Fall zu Fall unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus evaluiert werden. Sinnvoll ist ein Einsatz dann, wenn ein zusätzlicher Nutzen generiert wird (z.B. als Kompostbeutel), die Abtrennung von anderem Biomüll erschwert ist (z.B. Etiketten von Bananen) oder Plastik in der Umwelt zurückbleiben kann (z.B. Mulchfolien oder Fischereinetze). Bioabbaubare Polymere sind also nicht als genereller Ersatz für nicht biologisch abbaubare Kunststoffe geeignet, sondern nur komplementär zum existierenden Konzept von Reduce, Reuse, Recycle.
Mikroplastik ist auch in verschiedenen Kosmetikprodukten enthalten. Man unterscheidet hier zwischen Rinse-off-Produkten, die abgespült werden und so ins Abwasser gelangen und Leave-on-Produkten, die hauptsächlich über das Abschminken als fester Abfall entsorgt werden. Durch eine Eigeninitiative der Europäischen Kosmetikindustrie konnten bereits 97 % des Mikroplastik aus Rinse-off-Produkten entfernt werden. Bei Leave-on-Produkten, die einen kleineren Anteil ausmachen, ist ein Ersatz schwieriger.
Risikokommunikation und politische Massnahmen
Bei der Risikokommunikation ist es wichtig zu berücksichtigen, dass sich die Risikowahrnehmung von Experten und Nicht-Experten stark unterscheiden kann. Insgesamt hat die sozialwissenschaftliche Forschung zu Mikroplastik stark zugenommen, und rund 90 % der Europäer sorgen sich um den Effekt von Plastik auf die Umwelt.
Die EU hat auf diese Besorgnis reagiert und mit ihrer Kunststoffstrategie (2018) und dem Neuen Aktionsplan (2020) bereits Massnahmen zur Verringerung von Mikroplastik an der Quelle initiiert. So wird sie voraussichtlich 2021 oder 2022 im Rahmen der REACH-Verordnung eine Beschränkungsregelung für absichtlich verwendetes Mikroplastik erlassen – und zwar in Anwendungen mit relevanten Umwelteinträgen. Die Beschränkungen sollen schrittweise über einen Zeitraum von sechs Jahren in Kraft treten. Sie betreffen zum Beispiel Einstreumaterial für Kunstrasenplätze, einige landwirtschaftliche Produkte wie Dünger mit kontrollierter Freisetzung oder Antiklumpmittel, verschiedene Kosmetikzusätze, verkapselte Duftstoffe in Wasch- und Reinigungsmitteln und verschiedene andere Anwendungen. Es wird erwartet, dass die Beschränkung für Mikroplastik die Einträge in die Umwelt in 20 Jahren um rund 500’000 Tonnen oder 90 % reduzieren wird. Wenn die Regelung in Kraft tritt, wird die Schweiz sie prüfen und eine entsprechende Beschränkungsregelung im Rahmen einer Revision der Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung vorbereiten.
Ausserdem gilt in der EU ab dem 4. Juli 2021 ein Verbot für das Inverkehrbringen von oxo-abbaubaren Kunststoffen. In diesen Kunststoffen führen metall-organische Zusätze zur schnelleren Bildung von Plastikfragmenten (vor allen in Einwegverpackungen und landwirtschaftlichen Folien), und so auch zu einem verstärkten Umwelteintrag von Mikroplastik. Die Schweiz hat einen Regelungsentwurf für ein Verbot des Inverkehrbringens von oxo-abbaubaren Kunststoffen in die Vernehmlassung geschickt Die Regelung soll im Herbst 2021 vom Bundesrat verabschiedet werden.
Es gibt immer noch viele offene Fragen zur Gefährlichkeit und dem Risiko durch Mikroplastik in der Umwelt, doch es ist klar, dass uns dieses weiter begleiten wird. Im Sinne des Vorsorgeprinzips soll mit den geplanten politischen Massnahmen nicht nur die Verwendung, sondern auch der Eintrag von Mikroplastik stark eingeschränkt werden - so können die Risiken für schädliche Effekte auf Organismen und den Menschen verringert werden.