30. Mai 2017, Thema: Aquatische Ökotoxikologie Risikobewertung
Ökotoxikologische Risiken in kleinen Bächen sind hoch
Eine umfassende Monitoringstudie in kleinen Schweizer Bächen zeigt, dass diese oft stark mit Pflanzenschutzmitteln belastet sind. Das ökotoxikologische Risiko durch die vorhandenen Schadstoffmischungen war an vier der fünf untersuchten Standorte hoch und die Wasserqualität daher als schlecht einzustufen. Durch die langfristige Belastung fehlten Erholungszeiten für die Wasserorganismen.
Für mittelgrosse Fliessgewässer in landwirtschaftlich genutzten Einzugsgebieten sind Pflanzenschutzmittel (PSM) problematisch: In den letzten Jahren wurde gezeigt, dass dort regelmässig sowohl die Grenzwerte aus der Gewässerschutzverordnung als auch die ökotoxikologisch basierten Qualitätskriterien überschritten wurden. Bisher wenig untersucht wurden kleine Gewässer, obwohl diese ökologisch wichtig sind und die stoffliche Belastung wegen der geringeren Verdünnung stärkere Auswirkungen haben kann. Daher haben die Eawag und das Oekotoxzentrum im Rahmen der Nationalen Beobachtung Oberflächengewässerqualität, Spezialuntersuchungen (NAWA SPEZ), in einer umfassenden Monitoringstudie untersucht, wie stark kleine Gewässer durch PSM belastet sind. Als Ergänzung zu den chemischen Analysen der Eawag untersuchten Miriam Langer und Marion Junghans vom Oekotoxzentrum, wie gross das Risiko durch die analysierten PSM-Gemische für Gewässerorganismen ist. Die Ergebnisse verglichen die Wissenschaftlerinnen mit biologischen Indikatoren. Das Projekt wurde finanziell vom Bundesamt für Umwelt und dem Oekotoxzentrum unterstützt, Projektpartner waren der VSA, AquaPlus und die Kantone Thurgau, Basel-Land, Bern, Tessin und Wallis.
Monitoring von Bächen in landwirtschaftlichen Gebieten
Für die Monitoringkampagne wählten die Forschenden fünf kleine Fliessgewässer in landwirtschaftlich genutzten Gebieten in verschiedenen Regionen der Schweiz aus und untersuchten sie von März bis August 2015. In dem breiten Spektrum der angebauten Kulturen der Einzugsgebiete kamen auch PSM-intensive Kulturen wie Obst, Reben und Gemüse vor. Von den untersuchten 213 PSM fanden sich 128 in mindestens einer Probe. In mehr als der Hälfte der Proben lag die Gesamtkonzentration aller PSM höher als 1000 ng/L. 32 PSM überschritten ihre ökotoxikologischen Qualitätskriterien, in drei der untersuchten Gebiete während mehr als 85% der Untersuchungsperiode. Solche ökotoxikologischen Qualitätskriterien geben die Konzentration an, unterhalb derer keine akuten bzw. chronischen schädlichen Effekte auf Wasserorganismen erwartet werden. Sie sollen in den kommenden Jahren schrittweise den aktuell für alle PSM geltenden Grenzwert von 0.1 µg/L ersetzen, da dieser die ökotoxikologische Wirkung der Stoffe nicht berücksichtigt.
Mischungsrisiko zeigt eine langanhaltend schlechte Wasserqualität
Miriam Langer und Marion Junghans haben das Risiko der gemessenen PSM-Mischungen für Pflanzen, wirbellose Tiere und Fische bestimmt (siehe Kasten). Im Eschelisbach (Thurgau) bestand für Wirbellose von Mitte März bis Ende August ein Risiko für chronische Effekte und zeitweise auch für akute Effekte. Die chronischen Mischungsrisikoquotienten überschritten die Risikoschwelle dabei während 92% des Untersuchungszeitraums bis zu 60-fach. Auch für Pflanzen bestand oft ein Risiko. Im Weiherbach (Basel-Land) bestimmten je nach Saison unterschiedliche Organismengruppen das Risiko: Von Frühjahr bis Frühsommer war das Risiko für Pflanzen am höchsten, später im Jahr für wirbellose Tiere. Für beide Organismengruppen überschritten die Risikoquotienten der PSM Mischungen sowohl das akute als auch das chronische Qualitätskriterium vielfach und über längere Zeit. In der Tsatonire (Wallis) gab es dieselben saisonal unterschiedlichen Effekte wie im Weiherbach. Im Mooskanal (Bern) war das Risiko für akute Mischungseffekte deutlich geringer. Das Risiko für chronische Effekte für Pflanzen oder für wirbellose Tiere war jedoch mehrfach kurzfristig hoch. Im Canale Piano di Magadino (Tessin) bestand kein Risiko für das Auftreten akuter Effekte auf Gewässerorganismen. Für Pflanzen existierte hingegen im Juni und Juli ein Risiko für das Auftreten chronischer Effekte. „Die Wasserqualität muss an vier der fünf untersuchten Standorte als schlecht eingestuft werden“, sagt Marion Junghans. „An drei Standorten bestand fast über den gesamten Probenahmezeitraum ein Mischungsrisiko für chronische Effekte.“ Ein Mischungsrisiko für akute Effekte fand sich zeitweise an vier Standorten, vor allem im Eschelisbach und im Weierbach. Da das Mischungsrisiko oft langfristig erhöht war, fehlten Zeiträume in denen die Gewässerorganismen sich erholen konnten.
Biotests und Bioindikatoren als Ergänzung
Um die Bewertung der Mischungsrisiken zu ergänzen und Informationen über die risikoverursachenden PSM zu bekommen, setzten die Wissenschaftlerinnen vom Oekotoxzentrum auf Biotests und Bioindikatoren: Zusammen mit ihren Projektpartnern untersuchten sie die Effekte auf Algen und Bachflohkrebse und wendeten den Bioindikator-Index SPEAR (SPEcies At Risk) an. Im kombinierten Algentest mit einzelligen Grünalgen wurde in 23% der Proben die Photosynthese so stark gehemmt, dass das chronische Umweltqualitätskriterium des Referenzherbizids Diuron überschritten wurde. Das vom Algentest abgeleitete Risiko stimmt sehr gut mit dem berechneten Mischungsrisiko für solche Herbizide, die das Photosystem II von Pflanzen hemmen, überein. Es gibt jedoch auch Herbizide, die andere Wirkmechanismen haben.
Zum Nachweis von Insektiziden wurden im Eschelisbach Bachflohkrebse ausgesetzt und deren Überleben wöchentlich überprüft. In einer Woche in Juni 2015 überlebten nur 68% der eine Woche zuvor eingesetzten Bachflohkrebse, und die überlebenden Tiere waren auffällig lethargisch. Die chemische Analyse zeigte, dass in dieser Woche höhere Konzentrationen der Insektizide Chlorpyrifos-methyl, Dimethoat, Methomyl, Pirimicarb und Thiacloprid auftraten: Die Gesamtmenge der Insektizide lag über 2000 ng/L. Die erhöhte Sterblichkeit der Bachflohkrebse stimmt mit einem erhöhten Mischungsrisiko für akute Effekte überein, das zu über 78% von Chlorpyrifos-methyl dominiert wurde. Auch der SPEAR-Index für Pestizide, der die Artzusammensetzung von kleinen wirbellosen Tieren untersucht und besonders empfindlich auf Insektizide reagiert, zeigte für den Eschelisbach einen schlechten Zustand an.
„Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass das Risiko von PSM-Mischungen beurteilt werden sollte, um eine realistische Einschätzung der Belastung zu erhalten“, sagt Marion Junghans. „Im Weiherbach zum Beispiel unterschätzte eine Beurteilung auf der Basis von Einzelstoffen das tatsächliche Risiko in 40% des Untersuchungszeitraums um mindestens einen Faktor 2.“ Besonders wichtig sei jedoch, dass die risikoverursachenden Wirkstoffe im Jahresverlauf wechselten: Werden Organismen nämlich kontinuierlich über einen langen Zeitraum belastet, können sie sich nicht erholen. Die biologischen Untersuchungen waren in dieser Studie eine wertvolle Ergänzung zur chemischen Analyse und gaben Hinweise auf die Art der problematischen Stoffe. Eine Kombination von chemischen und biologischen Verfahren wird daher auch für zukünftige Untersuchungen empfohlen.
Mehr Informationen
Langer, M., Junghans, M., Spycher, S., Koster, M., Baumgartner, C., Vermeirssen, E., Werner, I. (2017) Hohe ökotoxikologische Risiken in Schweizer Bächen. Aqua & Gas 4, 58-68
Doppler T., Mangold, S., Wittmer, I., Spycher, S., Stamm, C., Singer, H., Junghans, M., Kunz, M. (2017) Hohe Pflanzenschutzmittelbelastung in Schweizer Bächen, Aqua & Gas 4, 46-56