26. Oktober 2018, Thema: Aquatische Ökotoxikologie Sedimentökotoxikologie Risikobewertung
Umweltmonitoring mit Biotests
Biotests als Methoden zur Bewertung der Wasser- und Sedimentqualität finden immer mehr Akzeptanz. Über 90 Fachleute aus Ämtern, Privatwirtschaft und Wissenschaft folgten im Juni 2018 der Einladung des Oekotoxzentrums zu einem zweitägigen Symposium zu diesem Thema.
In europäischen Flüssen wurden in bisherigen Studien mehr als 900 chemische Stoffe nachgewiesen, von denen nur die Hälfte identifiziert werden konnte. Die Vielzahl der vorhandenen Stoffe – bekannt und unbekannt - macht es sehr schwierig, eine Aussage über die Effekte dieser Chemikalienmischungen auf Ökosysteme zu treffen. Ökotoxikologische Biotests ermöglichen nicht nur eine Aussage zur Wirkung von Einzelchemikalien auf Umweltorganismen, sondern auch zur Wirkung von Schadstoffmischungen. Biotests sind Analysemethoden, die lebende Zellen, Organismen oder Gemeinschaften einsetzen, um deren Reaktion auf Umweltschadstoffe zu messen.
Biotests im regulatorischen Routineeinsatz
Für den Einsatz in der Regulatorik wird viel von solchen Tests erwartet: Sie sollen robust, kostengünstig und einfach durchzuführen sein, ausserdem genügend sensitiv und gut interpretierbar. Deutsche Behörden setzen Biotests schon seit den 70-er Jahren in der amtlichen Abwasserüberwachung ein. 1996 wurde in die deutsche Abwasserverordnung eine Biotestbatterie aufgenommen, die aus dem Fischeitest, dem Daphnientest, dem Leuchtbakterientest, dem Wasserlinsentest und dem umuC Test zur Messung der Gentoxizität besteht. Die Grenzwerte für die einzelnen Tests beziehen sich dabei nicht auf Gewässer, sondern auf Abwasserreinigungsanlgen (ARA): Es wird diejenige Verdünnung festgelegt (der sogenannte G-Wert), bei dem eine Probe im Biotest nicht mehr giftig sein darf. Überschreitet der Ablauf einer ARA den Grenzwert, so muss der Betreiber Massnahmen zur Schadstoffreduktion einleiten. Auch aus der Schweiz gibt es gute Erfahrungen mit der Abwasserbewertung mit Biotests, die Tests sind hier allerdings nicht vorgeschrieben. Sie wurden hauptsächlich zur Beurteilung der Entfernung von Mikroverunreinigungen in ARA eingesetzt. Zur regulatorischen Bewertung der Wasserqualität und des ökologischen Zustands eines Gewässers verwenden Schweizer Behörden häufig Gemeinschaftsindizes auf der Basis von Makroinvertebraten: Beispiele sind der Saprobienindex, der Makrozoobenthos-Index IBCH und der SPEARpesticide Index.
Alternativen zu Tierversuchen
Damit weniger Fische zur Bewertung von Chemikalien oder Umweltproben eingesetzt werden müssen, können Tests mit Zellkulturen nützlich sein. Gut dafür eignen sich Kiemenzellen von Fischen: Die Toxizität auf sie wird mit einer Kombination von Zellaktivitätstest beurteilt. Die Testergebnisse stimmen gut mit den Resultaten aus Fisch- und Fischeitests überein. Zellaktivitätstest können durch die Integration von Biomarkeranalysen erweitert werden und eignen sich – über die Messung der Impedanz der Zellen – auch zum Einsatz im Online und Remote Monitoring.
Einsatz von Biotests direkt im Feld
Biotests, die direkt im Gewässer durchgeführt werden, vereinen ideal die Vorteile von Labortests – also den direkten Zusammenhang zwischen Schadstoffexponierung und Effekten auf Organismen – und der Analyse von Lebensgemeinschaften, die reale Umweltbedingungen widerspiegeln, aber durch viele verschiedene Faktoren beeinflusst werden. Gut geeignet für solche in situ-Tests ist der Bachflohkrebs Gammarus fossarum. Gezüchtete Bachflohkrebse werden dabei für 1-3 Wochen im Feld inkubiert und es werden Effekte wie Mortalität, Fortpflanzung, Neurotoxizität und Hormonaktivität gemessen. So lässt sich die Wasserqualität am Standort charakterisieren.
Um Schadstoffeinflüsse auf Umweltorganismen im Feld zu verfolgen, sind auch sogenannte Biomarker geeignet. Sie lassen eine «Gesundheitsdiagnose» des Individuums zu und spiegeln reale Expositionsszenarien wider. Moderne Methoden erlauben die Analyse zahlreicher Biomarker, z.B. der Expression von Indikatorgenen, die durch die Wirkung von Chemikalien oder anderen Stressoren verändert wird. Biomarker in Bachforellen wurden in der Schweiz erfolgreich angewendet, um den Einfluss von ARA-Abwasser auf die Wasserqualität an verschiedenen Standorten zu zeigen. Die Biomarkergene, die Stress anzeigen, wurden stets unterhalb der ARA stärker exprimiert als oberhalb. Ein Jahr nachdem kein gereinigtes Abwasser mehr in ein betroffenes Fliessgewässer eingeleitet wurde, zeigte die Methode eine Normalisierung der Genexpression.
Einsatz von Biotestbatterien
Fallstudien zeigen, dass Biotests in den meisten Fällen miteinander kombiniert werden sollten, um die Wasserqualität von Oberflächengewässern zu bewerten. Dies gilt sowohl für die Überwachung der Reinigungsleistung von ARA und von Abwasser-belasteten Oberflächengewässern, als auch für die Charakterisierung von diffusen Gewässerbelastungen durch Pflanzenschutzmittel. Für solche Untersuchungen bietet sich meist eine Kombination von unterschiedlichen Labortests und Freilandmethoden an, die auf die Wirkmechanismen der Mikroverunreinigungen abgestimmt sein sollte. So lassen sich Effekte sensitiv und auf verschiedenen Ebenen erfassen. Um Biotestdaten jedoch in einem regulatorischen Kontext zu bewerten, braucht es Schwellenwerte - also Grenzwerte, die für jeden Biotest spezifisch angeben, ab wann schädliche Effekte auf den Organismus zu erwarten sind. Schwellenwerte müssen sowohl die Variabilität der Messwerte berücksichtigen, also auch die zelluläre Wirkung auf den ganzen Organismus extrapolieren. Dazu gibt es verschiedene Ansätze: 1) Die Angabe der notwendigen Verdünnung, um eine nicht toxische Probe zu haben – G-Wert (der in Deutschland angewendet wird), 2) die Verwendung von Umweltqualitätskriterien der Referenzsubstanzen, z. B. für spezifische Wirkungen wie Östrogenität 3) die Ableitung von effektbasierten Triggerwerten mit Hilfe von EQS mehrerer Substanzen (Mischung).
Sedimentbewertung als Sonderfall
Sedimente dienen als wichtiger Lebensraum für Organismen, sind aber oft stark mit Schadstoffen belastet, die an die organische Substanz der Sedimente adsorbieren. Bei der Umlagerung von Sedimenten können diese Stoffe remobilisiert werden und dabei die Gewässerqualität beeinträchtigen. Bei der Risikobewertung von Sedimenten geht es entweder um die Risiken vor Ort durch die Beeinträchtigung des Ökosystems oder um die Bewertung von Baggergut, um über dessen späteres Schicksal zu entscheiden.
Die Bewertung von Sedimenten mit Biotests ist weniger etabliert als die Bewertung von Wasserproben und bringt andere Herausforderungen mit sich. In den Niederlanden wird ein mehrstufiges Bewertungssystem eingesetzt, in Belgien ein einstufiges, in Italien ein Weight-of-evidence-Ansatz, und in Deutschland wird nur Baggergut bewertet. Wie bei den Biotests für Wasser ist es sinnvoll, zur Bewertung der Sedimentqualität eine Testbatterie zu verwenden, die verschiedene Aufnahmepfade, Organisationsniveaus, trophische Ebenen und Endpunkte berücksichtigt. In Deutschland wird das Baggergut hinsichtlich seiner Umlagerungsfähigkeit im Gewässer klassifiziert. Zuerst wird eine minimale sensitive Biotestbatterie eingesetzt – im Süsswasser sind dies der Leuchtbakterientest, der Algentest und der Daphnientest – und, falls Effekte gefunden werden, eine modulare Biotestbatterie angewendet. In der Schweiz entwickelt das Oekotoxzentrum momentan ein Sedimentmodul für das Modul-Stufen-Konzept zur Bewertung der Gewässerqualität. Bis jetzt wenden die Kantone kein harmonisiertes Verfahren an, um Sedimente zu bewerten. Das erste Ziel des Projekts sind daher Methodenempfehlungen für die Probenahme und Vorbehandlung von Sedimenten. Neue Sediment-Qualitätskriterien für zahlreiche Stoffe bilden zukünftig die Basis für ein Bewertungssystem für chemische Qualitätsklassen.
Fallstudien für das Monitoring von Sedimenten
In Fallstudien für das Monitoring von Sedimenten kamen vor allem die folgenden Testsysteme erfolgreich zur Anwendung: Tests mit menschlichen Zellkulturen zur Messung der Dioxin-ähnlichen Wirkung in Sedimenten und Tests mit Algen, Daphnien, Röhrenwürmern, Zuckmückenlarven und Muscheln. Aufschluss über die Bioakkumulation gaben Tests mit Zweiflüglern, Köcherfliegenlarven und Bachflohkrebsen.
Bewertung der Sedimente mit Gemeinschaftsindizes
Die Sedimentqualität kann auch mit verschiedenen Gemeinschaftsindizes bewertet werden, zum Beispiel auf der Basis von Oligochaeten als Bioindikatoren. Biologische Qualitätsindizes mit Oligochaeten sind zum Beispiel der TRF (Funktionsmerkmale), IOBL (Seen) und IOBS (Sedimente). Als Indikatoren lassen sich die Anzahl der identifizierten Taxa (IOBS), der Anteil an Röhrenwürmern ohne Kapillarborsten, die Oligochaetendichte oder der Anteil an empfindlichen Arten verwenden. Oligochaeten sind allerdings schwierig zu bestimmen. Ein Bestimmungsansatz auf der Basis von DNA-Barcoding wäre daher wünschenswert (siehe Seite 5).
Auch der NemaSPEAR Index mit Nematoden, der den Prozentsatz besonders empfindlicher Arten bestimmt, wurde erfolgreich zur Qualitätsbewertung von Sedimenten eingesetzt. Besonders zur Bewertung von Feinsedimenten sind Nematoden gut geeignet. Sedimentqualitätskriterien auf der Basis von Nematoden sind vergleichbar mit denen auf Basis von Makrozoobenthos.
Ein weiterer Indikator für Sedimentverschmutzung ist die Toleranz von mikrobiellen Lebensgemeinschaften für lokal vorkommende Schadstoffe (Pollution Induced Community Tolerance = PICT). Mikrobielle Lebensgemeinschaften können sich relativ schnell an veränderte Umweltbedingungen anpassen. Ist eine mikrobielle Lebensgemeinschaft gegenüber einem oder mehreren Schadstoffen tolerant, weist das auf eine vorhergehende Exposition gegenüber diesem/n Schadstoff/en hin. Der PICT-Ansatz zeigte sich in unterschiedlichen Ökosystemen und für unterschiedliche Schadstoffe gut geeignet, den chemischen Sedimentzustand zu bewerten.