16. November 2022, Thema: Sedimentökotoxikologie
Zuckmücken messen Schwebstoffqualität im Genfersee
Die Kombination aus Biotests und Biomarkern von Zuckmücken ist eine gute Methode, um die Qualität von Schwebstoffen zu messen. Eine Anwendung im Genfersee hat gezeigt, dass sich die Schwebstoffqualität dort im Jahresverlauf verändert. Die Partikel können die Gesundheit von Zuckmückenlarven beeinträchtigen.
Seit 2019 gibt es auf dem Genfersee die schwimmende Forschungsstation LéXPLORE, auf der Forschende unterschiedlichster Disziplinen Daten zum Genfersee sammeln. Auch das Oekotoxzentrum hat diese Anlage genutzt und dort 2021 die Qualität der Schwebstoffe untersucht. Schwebstoffe stehen mit den gelösten Stoffen im Wasser in Wechselwirkung, reichern diese an und transportieren sie – so stellen die Partikel eine wichtige Schnittstelle zwischen Wasser und Sedimenten dar. Im Gegensatz zu Sedimenten reagieren Schwebstoffe sehr dynamisch und können kurzzeitige Schwankungen sichtbar machen. Das Oekotoxzentrum hat mehrere Monate lang Schwebstoffe gesammelt und untersucht, welchen Effekt die Schwebstoffqualität auf Zuckmücken hat.
Zuckmücken sind Schlüsselorganismen der Gewässerböden
Die Forschenden sammelten Schwebstoffe einmal von Februar bis Juli (Saison 1) und anschliessend von Juli bis November (Saison 2). Diese Schwebstoffe wurden chemisch analysiert und ihre Wirkung auf das Wachstum und den Schlupferfolg von Zuckmückenlarven gemessen; ausserdem wurden Effekte auf die Genexpression der Tiere mit Biomarkern untersucht. Zuckmücken sind Schlüsselorganismen der Gewässerböden und besonders geeignet für Studien zur Bioverfügbarkeit von sedimentgebundenen Chemikalien, ihrer Toxizität oder ihrem Transfer in der Nahrungskette.
Die chemische Analyse mittels Non-Target-Screening zeigte, dass die Schwebstoffe mehr als 1000 Substanzen enthielten – davon 197, die von menschlichen Aktivitäten stammten. Einen grossen Anteil dieser Stoffe fanden die Forschenden jedoch in beiden Schwebstoffproben. Dies könnte auf eine diffuse Belastung hindeuten. «Die meisten Stoffe, die wir hier gefunden haben, kamen für uns nicht unerwartet», sagt Projektverantwortliche Rébecca Beauvais. Darunter waren zum Beispiel Haushaltschemikalien, per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) oder chemische Verbindungen aus dem Strassenverkehr. «Die Ergebnisse müssen aber noch durch gezielte quantitative Analysen bestätigt werden», so Rébecca Beauvais.
Schädliche Effekte auf Schlupferfolg der Tiere
Wurden die Schwebstoffe aus Saison 2 mit Zuckmückenlarven zusammengebracht, so schafften signifikant weniger Tiere die Umwandlung zum erwachsenen Tier als in der Kontrollgruppe. Dagegen hatten die Partikel aus Saison 1 keinen signifikanten Effekt. Um die Ergebnisse zu bestätigen, untersuchten die Forschenden die Wirkung der Schwebstoffe auf Muschelkrebse. Auch diese Experimente zeigten, dass die Schwebstoffe aus Saison 2 toxischer waren als diejenigen aus Saison 1. Ein Unterschied zwischen den beiden Schwebstoffproben lag im Quecksilbergehalt: Dieser war in Saison 1 mehr als doppelt so hoch wie in Saison 2. «Die Konzentrationen lagen jedoch unterhalb des Sediment-Qualitätskriteriums für Quecksilber, so dass Quecksilber nicht für die beobachtete Toxizität verantwortlich sein kann», erklärt Rébecca Beauvais.
Die Forschenden betrachteten ausserdem als Biomarker Gene, die an verschiedenen Stoffwechselprozessen beteiligt sind, wie zum Beispiel der Entgiftung, der Hormonsteuerung und dem Immunsystem. Die Genexpression wird über die Bildung der Messenger-RNA gemessen. So lassen sich Effekte feststellen, die eine Stressantwort auslösen und dadurch den Organismus langfristig schädigen können. Die Exposition mit Schwebstoffen beeinflusste die Expression von 18 Genen. Während in Saison 2 hauptsächlich Gene betroffen waren, die auf den Hormonstoffwechsel oder die Entgiftung wirken, waren es Saison 1 hauptsächlich solche, die für das Immunsystem und zellulären Stress verantwortlich sind.
Vielversprechende Diagnostikmethode
Insgesamt hat diese Studie gezeigt, wie nützlich die Verwendung von Zuckmücken für die Diagnose der Schwebstoffqualität ist. Biomarker sind in Verbindung mit Biotests im Labor oder im Feld eine vielversprechende Methode, um Effekte empfindlich und frühzeitig zu erkennen und so die Qualität von Oberflächengewässern zu bewerten.