15. November 2024, Thema: Aquatische Ökotoxikologie Bodenökotoxikologie Sedimentökotoxikologie
Toxische Effekte von Reifenabrieb
Reifenpartikel enthalten Stoffe, die potenziell östrogene, gentoxische und bakterientoxische Wirkungen haben und in die Umwelt abgegeben werden können. Mit einer innovativen Methode konnten die Forschenden ausserdem zeigen, welche Stoffe zu diesen Effekten beitragen.
Wenn wir Auto fahren, erzeugen wir dabei immer auch Reifenabrieb. Dieser entsteht durch die Reibung der Autoreifen mit der Strassenoberfläche und stellt eine wichtige Quelle für Mikroplastik in der Umwelt dar. Die entstehenden Partikel sind nur Mikrometer gross und enthalten einerseits Gummi und Russ aus den Reifen und andererseits Bitumen und Mineralien von der Strassenoberfläche. Zwar können die Reifenpartikel schon aufgrund ihrer geringen Grösse einen biologischen Effekt haben. Besonders besorgniserregend ist aber, dass sie zahlreiche chemische Zusatzstoffe aus dem Reifengummi enthalten, die von dort in die Umwelt ausgewaschen werden können.
Auch Verunreinigungen und Umwandlungprodukte spielen eine Rolle
«Besonders wenig wissen wir hier über die organischen Chemikalien», sagt Alan Bergmann vom Oekotoxzentrum. «Diese Stoffe werden manchmal nicht bewusst zugegeben, sondern es sind Verunreinigungen von Inhaltsstoffen oder unerwartete Umwandlungsprodukte.» Viele Zusatzstoffe sind reaktiv und werden gerade deswegen eingesetzt, zum Beispiel Vulkanisiermittel oder Antioxidantien. Während der Herstellung und dem Gebrauch reagieren diese zu verschiedenen Produkten, die oft unbekannt sind.
Organische Inhaltstoffe von Reifen und ihre Umwandlungsprodukte können ein ungewolltes Risiko für Wassertiere darstellen. Im Labor hat man bereits gesehen, dass solche Stoffe manchmal Effekte auf Organismen haben. Und auch in der Umwelt wurden Effekte beobachtet: So konnte ein unerklärliches Sterben von Silberlachsen in Nordamerika auf 6-PPD-Chinon zurückgeführt werden, ein Umwandlungsprodukt eines weit verbreiteten Reifeninhaltsstoffes, das sehr giftig für manche Lachsarten ist.
Innovative Methode macht es möglich, die verantwortlichen Stoffe zu finden
Doch oft ist nicht klar, welche Chemikalien für solche Effekte verantwortlich sind, was ihren Nachweis schwierig macht. Alan Bergmann hat am Oekotoxzentrum neue Methoden etabliert, die hier weiterhelfen können: Werden Biotests mit Hochleistungs-Dünnschichtchromatographie gekoppelt, so kann dies dabei helfen, einen Zusammenhang zwischen toxischen Effekten und spezifischen Chemikalien zu finden. „Bei dieser Methode trennen wir zunächst die toxischen Stoffe von den anderen Stoffen ab und versuchen dann, sie zu identifizieren“, erklärt Alan Bergmann. Er hat die Methode für hormonaktive, gentoxische und bakterientoxische Stoffe etabliert und optimiert. „Das schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir können so nicht nur die Toxizität von komplexen Proben messen. Weil wir die Stoffmischung während der Chromatographie in kleinere Fraktionen auftrennen, können wir gezielt die toxischen Fraktionen weiter untersuchen und so die verantwortlichen Stoffe finden.“
Zuerst wird die Stoffmischung in einer Probe auf der Dünnschichtplatte aufgetragen und während der Flüssigchromatographie in Banden aufgetrennt, die nur noch einige Einzelstoffe enthalten. Je nach Masse und Polarität wandern die Stoffe auf der Platte unterschiedlich weit. Um die Banden mit toxischen Stoffen nachzuweisen, werden anschliessend Biotests direkt auf der Platte durchgeführt: Je nach Test werden so verschiedene Substanzgruppen nachgewiesen. Anschliessend kann die Identität der giftigen Stoffe bestimmt werden. «Das geht jetzt viel einfacher, weil die Banden weniger Stoffe enthalten als die ursprüngliche Probe», so Alan Bergmann. Die Biotests auf den Dünnschichtplatten sind ausserdem empfindlicher als herkömmliche Biotests in Mikrotiterplatten.
Biotests für östrogene, gentoxische und bakterientoxische Wirkung
Das Oekotoxzentrum untersucht die Ökotoxizität von Reifenabrieb in einem Projekt, das von einem Konsortium von Reifenherstellern finanziert wird und an dem auch Eawag und EPFL als Projektpartner beteiligt sind. Um die mögliche Toxizität besser zu verstehen und herauszufinden, welche Chemikalien für dafür verantwortlich sein könnten, wurden Reifenpartikel mit verschiedenen Biotests untersucht: nämlich einer Methode mit gentechnisch veränderten Hefen, um Stoffe mit östrogener Wirkung nachzuweisen, einer Methode mit gentechnisch veränderten Salmonellen, um Gentoxizität nachzuweisen, und einer Methode mit Leuchtbakterien, um über eine Hemmung der Biolumineszenz allgemeine Toxizität zu zeigen.
Zunächst wurden Inhaltsstoffe aus den Reifen mit organischem Lösungsmittel oder mit wässrigen Lösungen ausgewaschen –nämlich einer Mischung aus Wasser und Sediment oder simulierter Verdauungsflüssigkeit. Als Modell für Reifenabrieb wurden kleine Partikel aus der obersten Schicht von Reifen verwendet, die zwischen 15 und 300 Mikrometer gross waren. In den Experimenten wurde das Verhalten von bekannten schädlichen Reifen-Inhaltsstoffen auf den Dünnschichtplatten mit den unbekannten schädlichen Banden verglichen: Dies liefert Hinweise darauf, welche Chemikalien für die beobachteten Effekte verantwortlich sind.
Effekte in allen Testsystemen
Die organisch extrahierten Stoffe aus den Reifen führten in allen drei Biotests zu Effekten: Dies bedeutet, dass in den Reifenpartikeln sowohl östrogene als auch gentoxische und allgemein toxische Stoffe enthalten sind. Der organische Extrakt enthält jedoch wahrscheinlich mehr Stoffe, als in der Umwelt ausgewaschen werden, da dort für die Auswaschung nur Wasser am Werk ist. Auf den Dünnschichtplatten hatten jeweils nur zwei Banden eine toxische Wirkung. Also waren vermutlich nur wenige Einzelstoffe für den grössten Teil der Wirkung verantwortlich.
In den wässrigen Extrakten wurden ebenfalls östrogene und allgemein toxische Wirkungen detektiert, aber keine Gentoxizität. Es könnte also sein, dass in der Umwelt die Gentoxizität eine weniger grosse Rolle spielt als die östrogene Wirkung oder die allgemeine Toxizität. Wurden die Partikel durch Thermooxidation künstlich gealtert, so veränderte dies ihre Effekte nicht.
Vulkanisiermittel mitverantwortlich für schädliche Wirkungen
Um bekannte toxische Reifeninhaltsstoffe den beobachteten Effekten zuordnen zu können, wurden 11 solche Stoffe in den Biotests getestet: Von diesen hatten zwei eine östrogene Wirkung, drei waren gentoxisch und mehrere hemmten die Leuchtbakterien. Die Vulkanisiermittel 1,3-Diphenylguanidin und Benzothiazol waren für die Toxizität einiger Banden zumindest mitverantwortlich. Andere toxische Banden konnten keiner der getesteten Chemikalien zugeordnet werden.
10 der 11 getesteten Chemikalien wirkten in mindestens einem der drei Biotests toxisch. Die einzige Chemikalie ohne Wirkung in den Tests war 6PPD-Chinon, das durch seine Toxizität für einige Lachsarten bekannt wurde. «Obwohl 6PPD-Chinon sicher toxisch ist, war es nicht für die Östrogenität, die Gentoxizität oder die Hemmung der Leuchtbakterien in den Biotests verantwortlich», sagt Alan Bergmann.
Umwandlungsprodukte werden auch erfasst
6PPD-Chinon ist ein Umwandlungsprodukt von 6PPD, das in Reifen häufig als Antioxidationsmittel eingesetzt wird. «Obwohl wir dies aufgrund seiner chemischen Struktur nicht erwartet hatten, zeigte 6PPD im Biotest eine östrogene Wirkung», sagt Alan Bergmann. «Dafür war aber wahrscheinlich ein Umwandlungsprodukte von 6PPD verantwortlich. Während dem Test sind die Chemikalien im Kontakt mit Luft, was zur Umwandlung einiger Stoffe führen kann.» Dieselben Umwandlungsprodukte wie während dem Test können jedoch auch in der Umwelt auftreten. Die Methode deckt daher relevante Gefahren auf, wie zum Beispiel das östrogene Potenzial von 6PPD durch seine Umwandlungsprodukte.
Beim Test für Gentoxizität wanderte das Vulkanisiermittel 1,3-Diphenylguanidin (DPG) auf der Dünnschichtplatte genauso weit wie eine gentoxische Fraktion in den Extrakten, war also vermutlich zumindest mitverantwortlich für die gentoxische Wirkung. Benzothiazol und 6PPD hemmten im Leuchtbakterientest die bakterielle Lumineszenz. Benzothiazol wird in Reifen ebenfalls regelmässig als Vulkanisiermittel eingesetzt und könnte im Gewässer durch seine Bakterientoxizität direkt die Biofilmgemeinschaften am Gewässergrund stören.
«Wir konnten zeigen, dass Reifenpartikel toxische Chemikalien enthalten, die in die Umwelt abgegeben werden können», sagt Alan Bergmann. «Doch auch wenn bekannte Inhaltsstoffe zu den schädlichen Wirkungen beitragen, die wir beobachtet haben, gibt es in den Reifen noch viele unbekannte toxische Stoffe. Weitere Untersuchungen sind also sinnvoll. Insgesamt können wir jetzt aber die potenziellen schädlichen Effekte von Reifenpartikeln besser verstehen und können diese besser den verantwortlichen Chemikalien zuordnen.»