Ökotoxizität von Reifenabrieb

Ökotoxizität von Reifenabrieb

Jedes Jahr gelangen mehrere Tausend Tonnen Reifenabrieb in die Umwelt, die aus einem komplexen Gemisch von Gummipartikeln und Strassenmaterial bestehen und mit zahlreichen Schadstoffen belastet sind. Reifenabriebpartikel bestehen aus Gummi, Vulkanisiermitteln und anderen Zusätzen. Durch die Reibung mit der Strasse enthalten die Partikel auch Asphalt und Verunreinigungen, die von der Strassenoberfläche stammen. Reifenabriebpartikel wurden inzwischen in allen Umweltbereichen nachgewiesen: Luft, Wasser, Sediment, Boden und Biota. Die Ökotoxizität der Partikel hängt direkt von der Bioverfügbarkeit der partikelgebundenen Chemikalien ab, die durch die Alterung der Partikel beeinflusst wird.

Ziel des Projekts ist es, die Bioverfügbarkeit und Toxizität von Schadstoffen in Reifenabriebpartikeln sowie die direkten Auswirkungen der Partikel auf Organismen besser zu verstehen. Dazu wird der Weg der Schadstoffe zwischen der Partikelaufnahme im Darm, der Desorption während der Verdauung, der Aufnahme über den Verdauungstrakt und der Bioakkumulation im Gewebe betrachtet. Ausser der Desorption von Stoffen während der Verdauung werden auch das Vorhandensein von Schadstoffen mit spezifischen Wirkmechanismen und die Auswirkungen auf molekularer, zellulärer und organismischer Ebene untersucht. Als Modell für Reifenabriebpartikel werden kryogen gefräste Reifenlaufflächen verwendet.

Das Projekt wird vom World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) im Rahmen des Tire Industry Project (TIP) finanziert.

Übersicht über die einzelnen Projektbereiche (Link zum pdf)

Phase 1 2019 - 2021

  1. Desorption von Schadstoffen aus unveränderten und aus gealterten Reifenpartikeln in künstlicher Magen- und Darmflüssigkeit und unter Umweltbedingungen
  2. Östrogene und gentoxische Wirkungen von Schadstoffen nach der Verdauung von Reifenpartikeln mit künstlicher Magen- und Darmflüssigkeit oder der Auslaugung mit Wasser. Die Wirkung der Extrakte wird mit einer Kombination aus Dünnschichtchromatographie, Biotests und Massenspektroskopie nachgewiesen.
  3. Toxizität der Partikel und der Extrakte nach Verdauung/Auslaugung auf Fischzelllinien (aus Kiemen und Darm von Regenbogenforellen)
  4. Bioakkumulation und Auswirkung von Partikeln und damit verbundenen Schadstoffen auf bodenlebende und wasserlebende Wirbellose 

Phase 2 2022 - 2023

Zusätzlich zu den Zielen aus Phase 1 werden die Auswirkungen von Reifenabriebpartikeln auf aquatische Biofilme, die mögliche Übertragung der Partikel und der daran sorbierten Schadstoffe entlang einer künstlichen Nahrungskette sowie die Toxizität auf Gehirnfischzelllinien untersucht.

  1. Desorption von Chemikalien aus Organismen, die mit Reifenabrieb belastet sind (diese dienen als Nahrungsquelle für Regenbogenforellen)
  2. Toxizitätsprofil von Extrakten aus Reifenpartikeln nach Verdauung/Auslaugung. Berücksichtigt werden Östrogenität, Gentoxizität und allgemeine Toxizität für Bakterien. Die Auswirkungen werden mit einer Kombination aus Dünnschichtchromatographie, Biotests und Massenspektroskopie nachgewiesen.
  3. Toxizität von Partikeln und Extrakten nach Verdauung/Auslaugung auf Fischzelllinien (aus Kiemen, Darm und Gehirn)
  4. Bioakkumulation und Auswirkung von Partikeln und partikelgebundenen Schadstoffen auf Zuckmücken und Flohkrebse
  5. Bioakkumulation und Auswirkung von Partikeln und gebundenen Schadstoffen auf Biofilme, Bewertung des Transfers über die Nahrungskette zu Schnecken, die diese abweiden

Phase 3 2024 - 2025

Die Untersuchungen aus Phase 2 werden fortgesetzt. Ziel ist es auch festzustellen, welche Chemikalien für die beobachteten Effekte verantwortlich sind. Die Labortests werden mit der Analyse von Umweltproben verglichen. Darüber hinaus wird ein Methodenpaket für die Bewertung von Reifenbestandteilen vorgeschlagen und mögliche Alternativen mit geringerer Toxizität getestet.

  1. Auf dem Weg zur In-situ-(Bio-)Überwachung entlang der Nahrungskette. Analyse von Umweltproben (Wasser, Sediment und Organismen) auf Reifenpartikel und damit verbundene Schadstoffe. Bewertung der Auswirkungen durch Messung von Biomarkern. Werden Reifenzusatzstoffe in höhere Ebenen der Nahrungskette transferiert?
  2. Identifizierung bedenklicher Chemikalien durch eine Kombination aus Dünnschichtchromatographie, Biotests und Massenspektroskopie zur Unterstützung der Risikobewertung. Ausserdem wird der DR-Calux auf Dünnschichtplatten etabliert, um dioxinähnliche Wirkungen nachzuweisen.
  3. Entwicklung eines Methodenpakets auf der Grundlage von Fischzelllinien aus Kiemen, Darm und Gehirn, um die Toxizität verschiedener Reifenbestandteile mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zu bestimmen und - wo nötig - nach Alternativen zu suchen.
  4. Flohkrebse und Zuckmücken aus Umweltproben - die Forellen als Nahrung dienen - werden verdaut und mit Hilfe von Fischzelllinien auf ihre Toxizität getestet. Bestimmung von Rückständen der prioritären Stoffe im Gewebe und Analyse von Biomarkern.
  5. Untersuchung der Bioakkumulation von Reifenpartikeln in Biofilmen und deren Übertragung auf weidende Schnecken unter Umweltbedingungen. Bestimmung des Wirkprofils der Reifeninhaltsstoffe durch Verfütterung an geeignete Organismen.

Publikationen

Bergmann, A. J., Masset, T., Breider, F., Dudefoi, W., Schirmer, K., Ferrari, B. J. D., & Vermeirssen, E. L. M. (2024). Estrogenic, genotoxic, and antibacterial effects of chemicals from cryogenically milled tire tread. Environmental Toxicology and Chemistrydoi.org/10.1002/etc.5934 Institutional Repository

Dudefoi, W., Ferrari, B. J. D., Breider, F., Masset, T., Leger, G., Vermeirssen, E., … Schirmer, K. (2024). Evaluation of tire tread particle toxicity to fish using rainbow trout cell lines. Science of the Total Environment, 912, 168933. doi.org/10.1016/j.scitotenv.2023.168933 Institutional Repository

Masset, T., Ferrari, B. J. D., Dudefoi, W., Schirmer, K., Bergmann, A., Vermeirssen, E., … Breider, F. (2022). Bioaccessibility of organic compounds associated with tire particles using a fish in vitro digestive model: solubilization kinetics and effects of food coingestionEnvironmental Science and Technology56(22), 15607-15616. doi.org/10.1021/acs.est.2c04291 Institutional Repository

Masset, T., Ferrari, B. J. D., Oldham, D., Dudefoi, W., Minghetti, M., Schirmer, K., … Breider, F. (2021). In vitro digestion of tire particles in a fish model (Oncorhynchus mykiss): solubilization kinetics of heavy metals and effects of food coingestionEnvironmental Science and Technology55(23), 15788-15796. doi.org/10.1021/acs.est.1c04385 Institutional Repository

Kontakt

Dr. Benoît Ferrari
Dr. Benoît Ferrari E-Mail Kontakt Tel. +41 (0) 21 693 7445 / +41 (0) 58 765 5373

Projektmitarbeitende

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